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Benzodiazepine
Synonym(e)
Definition
Benzodiazepine sind die wichtigste und weit verbreitete Stoffgruppe der Anxiolytika (In Deutschland nehmen 10 – 17 % der Bevölkerung im Verlauf eines Jahres einmal ein Benzodiazepinpräparat ein. 1 – 2 % der Erwachsenen nehmen mindestens ein Jahr lang täglich Benzodiazepine). Benzodiazepine werden v.a. anxiolytisch und sedativ eingesetzt. Chemisch gesehen sind Benzodiazepine substituierte Derivate eines 5-Aryl-1,4-Diazepins, das mit einem Benzolring fusioniert ist. Die große Zahl von Substitutionsmöglichkeiten an der Benzodiazepin-Molekülstruktur erklärt die Vielzahl von Vertretern dieser Medikamentengruppe. So sind Benzodiazepine u.a. in Form von Tabletten, Schmelztabletten, Kapseln, Tropfen und als Injektionspräparate im Handel.
Das erste Benzodiazepin, Chlordiazepoxid (Librium®), wurde 1950 von Leo Sternbach bei Hoffmann-La Roche synthetisiert. Weltweit gehören Benzodiazepine zu den am meisten verordneten Arzneimitteln.
Einteilung
Unterschieden wird in:
Kurzwirksame Benzodiazepine
- Triazolam (Halcion®):Hypnotikum; Halbwertszeit: 1,4 – 4,6 h
- Midazolam (Dormicum®): Prämedikation, Narkoseeinleitung, Sedierung; Halbwertszeit: 1,5 – 2,5 h
Mittellang wirksame Benzodiazepine
- Bromazepam (Lexotanil®, Gityl®,Lexostad®): Schlafstörungen, Anxiolyse, Halbwertszeit: 15 – 28 h
- Alprazolam (Xanax® Xanor®, Tafil® ,Cassadan®): Panikstörungen, Anxiolyse , Halbwertszeit:12 – 15 h
- Lorazepam (Tavor®,Tavor Expidet®, Temesta®, Ativan® ,Laubeel® ,Tolid® Somagerol®): Anxiolyse, Schlafstörungen, Halbwertszeit:13 – 14 h
- Oxazepam (Adumbran®, Praxiten®, Sigacalm® ,Uskan®): Anxiolyse, Schlafstörungen , Halbwertszeit: 5 – 15 h
- Flunitrazepam ( Rohypnol®, Fluninoc®):Hypnotikum, Narkoseeinleitung, Halbwertszeit: 10 – 30 h
Langwirksame Benzodiazepine
- Diazepam (Valium®, Faustan®, Stesolid®, Neurolytril®, Valocordin®): Anxiolyse, Sedierung, Krampfanfälle, Halbwertszeit: 24 – 48 h (50 – 80 h)
- Tetrazepam (Musapam®, Musaril® ,Rilex®, Myospasmal®, Spasmorelax®):Myotonolytikum (Muskelrelaxans), Halbwertszeit:18 h (Bemerkung: keine Zulassung mehr)
- Flurazepam (Dalmadorm®, Staurodorm®): Schlafstörungen, Halbwertszeit: 20 – 100 h
- Clonazepam (Rivotril®, Antelepsin®): Krampfanfälle, Halbwertszeit:30 – 40 h
- Clobazam (Frisium®): Anxiolyse, Krampfanfälle, Halbwertszeit: 20 h
- Chlordiazepoxid (Librium®, Multum®, Radepur®): Anxiolyse, Halbwertszeit: 20 – 50
Pharmakodynamik (Wirkung)
Benzodiazepine binden hochaffin an die alpha-Untereinheit des transmembranären Rezeptors der Gammaaminobuttersäure (GABAA-Rezeptor - Subtyp GABAA ) und führen zu einer verstärkten Ligandenwirkung der GABA. GABAA-Rezeptoren sind transmembranäre Proteinkomplexe die als Ionenkanäle fungieren. Nach Ligandenbindung an den Rezeptor kommt es zu einem vermehrten Chlorid- Einstrom, der durch die Hyperpolarisation die Erregbarkeit der Zellen herabsetzt (inhibitorischen GABAerge Wirkung). Diese „Sensibilisierung“ des Rezeptors wird als „positive allosterische Modulation“ bezeichnet. Die zentral dämpfende Eigenschaft der Benzodiazepine beruht auf dieser Wirkung.
Benzodiazepine wirken somit nur bei Vorhandensein von körpereigenem GABA. Die Aktivität des Rezeptorkanals kann insofern nie stärker sein als es durch die physiologische Bindung von GABA möglich ist (Ceiling-Effekt). Hierüber erklärt sich die große therapeutische Breite und Sicherheit der Benzodiazepine (selbst bei Überdosierung). Im Unterschied dazu können Barbiturate bei Überdosierung eine Atemlähmung auslösen, da sie selbst GABAerg wirken. Flumazenil ist ein kompetitiver Benzodiazepin-Antagonist, der die Benzodiazepinwirkung vollständig aufhebt.
Pharmakokinetik
Benzodiazepine werden in der Regel schnell resorbiert und je nach Molekülstruktur unterschiedlich schnell metabolisiert. Sie haben eine hohe Bioverfügbarkeit. Bei ihrer Metabolisierung spielen CYP3A4, CYP2C19 und die Konjugation mit Glucuronsäure die wichtigste Rolle. Beispielsweise verläuft der Abbau von Diazepam in 3 Schritten:
- In einem ersten Schritt erfolgt in der Leber eine N-Desalkylierung zu Nordiazepam N, in einem 2. Schritt eine Hydroxylierung zu Oxazepam. Oxazepam wird in einem 3. Schritt glukuronidiert und als Konjugat dann über die Niere ausgeschieden.
In ähnlicher Weise werden viele andere Benzodiazepine abgebaut, einige auch nur zweistufig über Hydroxylierung und Glukuronierung. Die bei diesen enzymatischen Vorgängen entstehenden Zwischenprodukte sind meist ebenfalls wirksam. Einige sind durch ihre langen Halbwertszeiten für die langdauernde Wirkung der Benzodiazepine verantwortlich. Medizinisch wichtig: die Halbwertzszeiten werden mit dem Alter der Patienten zunehmend länger. Insofern ist die Dosierung bei älteren Patienten anzupassen.
Anwendungsgebiet/Verwendung
Anwendung im Überblick: 4-K-Regel: Schon nach wenigen Monaten führen Benzodiazepine auch bei niedriger Dosierung zu einem Rebound-Phänomen, wenn sie abgesetzt werden. Die sog. 4-K-Regel fasst zusammen was bei der Anwendung von Benzodiazepinen beachtet werden sollte:
- Klare Indikation
- Kleine Dosis
- Kurze Anwendungszeit (maximal 14 Tage)
- Kein abruptes Absetzen
Indikation
Benzodiazepine wirken dosisabhängig anxiolytisch, sedativ, muskelrelaxierend und antikonvulsiv. Die Spezifizierung der Benzodiazepinwirkung ergibt sich aus dem Ausmaß der Besetzung von GABAA-Rezeptoren mit Benzodiazepinen:
- Niedrige Dosen lösen anxiolytische Wirkungen aus
- Höhere Dosen lösen muskelrelaxierende und hypnotische Wirkungen aus
- Hohe Dosen können einen Status epilepticus unterdrücken
Nach wenigen Wochen entsteht durch die Rezeptor-Downregulation eine Toleranzentwicklung, welche die Wirkung abschwächen lässt. Davon ist vor allem die antiepileptische Wirkung betroffen.
Schwangerschaft/Stillzeit
Schwangerschaft: vor allem bei längerem Gebrauch in der späten Schwangerschaft kann es beim Neugeborenen zum Floppy-Infant-Syndrom kommen.
Stillzeit: S.u. Fachinformationen der einzelnen Substanzen.
Unerwünschte Wirkungen
Die Bandbreite der unerwünschten Nebenwirkung bei Benzodiazepinen ist hoch. Die folgende Auflistung gibt einen Überblick, wie verschiedene Organsysteme reagieren können.
psychiatrische Störungen: Ruhelosigkeit, Erregung, Reizbarkeit, Aggressivität, Halluzinationen, Wutausbrüche, Alpträume, Psychosen, Trigger einer Depression
zentrale Störungen: Müdigkeit, Schläfrigkeit, Dämpfung, Beeinträchtigung der Reaktionsfähigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, anterograde Amnesie, Gedächtnisstörungen
Sehstörungen: Doppelbilder, verschwommene Bilder
Atemstörungen: Atemdepression
intestinale Störungen: Mundtrockenheit, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Obstipation
Herz-Kreislauf-Störungen: Blutdruck ↓
muskuläre Störungen: Ataxie, Sturzgefahr, Intoxikation und Antidots bei Benzodiazepinen
Intoxikationen: Sofern keine Mischintoxikation mit anderen Substanzen vorliegt, reicht die Gabe von Laxantien und Kohletabletten in der Regel aus. Als spezifisches Antidot steht Flumazenil (Anexate®) zur Verfügung, das intravenös verabreicht wird. Flumazenil ist ebenfalls ein Benzodiazepin, jedoch mit partial-agonistischer Wirkung. Aufgrund seiner hohen Bindungsaffinität zum GABA-Rezeptor verdrängt es Benzodiazepine vom Rezeptor. Erst bei sehr hoher Dosis wirkt Flumazenil selbst agonistisch.
kutane UAW:
- Urtikaria und anaphylaktische Reaktionen (Haybarger E et al. 2016)
- Schwere makulopapulöse Exantheme (Palacios Benito R et al. 2001) bis hin zur toxischen epidermalen Nekrolyse (TEN-Syndrom) (Martín-Merino E et al. 2015). In einer größeren Übersichtsarbeit wurde die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Stevens-Johnson-Syndroms /TEN für die Benzodiazepin-Gruppe mit 3,21/1Million Patienten angegeben (Martín-Merino E et al. 2015).
- Vereinzelt wird über das Auftreten einer „akuten generalisierten Pustulose“ berichtet (Tetrazepam - Thomas E et al. 2008)
- Einmalig wurde unter der Therapie mit Lorazepam eine lichenoide orale Reaktion beschrieben (Colvard MD et al. 1986)
Wechselwirkungen
In Kombination mit CYP-3A4-Inhibitoren (z.B. Cimetidin, Diltiazem, Erythromycin, Clarithromycin) kann der Abbau der Benzodiazepine gehemmt werden (Wirkungsverstärkung!). Konträr dazu (Wirkungsabschwächung) wirken die synchrone Applikation von Phenytoin und Barbiturate. Desweiteren können Interaktionen mit zentral dämpfenden Arzneimitteln, Alkohol und Muskelrelaxantien beobachtet werden. Die gleichzeitige Verabreichung von Antihypertensiva bewirkt eine additive Blutdrucksenkung.
Gegenseitige Wirkverstärkung ist möglich durch zentral dämpfende Pharmaka wie z. B.:
- Hypnotika
- Opioide
- Alkohol
- Antiepileptika
- Antidepressiva
- Antipsychotika
- Sedierende Antihistaminika
Kontraindikation
Kontraindiziert sind Benzodiazepine bei:
- Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff
- Akute respiratorische Insuffizienz, obstruktive Atemwegserkrankungen
- Abhängigkeitsanamnese
- Myasthenia gravis
- Engwinkelglaukom
- Ataxien
- Myasthenia gravis
- Co-Abhängigkeiten
Präparate
Alphabetische Auflistung der wichtigsten Benzodiazepine (die typischen Endungen der Benzodiazepine sind -azepam und -azolam.):
- Alprazolam (Xanax®)
- Bromazepam (Lexotanil®)
- Chlordiazepoxid (Librium®)
- Clobazam (Urbanyl®)
- Clonazepam (Rivotril®)
- Clorazepat (Tranxillium®)
- Diazepam (Valium®)
- Flunitrazepam (Rohypnol®)
- Flurazepam (Dalmadorm®)
- Halazepam (Pacinone®)
- Ketazolam (Solatran®)
- Lorazepam (Temesta®)
- Lormetazepam (Loramet®)
- Medazepam (Rudotel®, D)
- Midazolam (Dormicum®)
- Nitrazepam (Mogadon®)
- Oxazepam (Anxiolit®)
- Prazepam (Demetrin®)
- Temazepam (Normison®)
- Triazolam (Halcion®)
Hinweis(e)
Die Bezeichnung Benzodiazepine basiert auf der chemischen Struktur des heterozyklischen Ringsystems. Der Hauptvertreter dieser Gruppe ist Diazepam (s. Abb.). Mit roten Zahlen sind die üblichen Substitutionsorte markiert. Die 1H-Benzo-1,4-diazepine tragen in 5-Position einen sechsgliedrigen Ring wie Benzol, Pyridin oder Cyclohexen. Bei den tetrazyklischen Benzodiazepinen ist an N1 und C2 ein Fünferring mit einem (Midazolam) oder 2 Stickstoffatomen (z.B. Triazolam) angelagert.
Antidot bei Vergiftungen: Benzodiazepinantagonist, z.B. Flumazenil (Anexate) i.v.
Literatur
- AMK (2013) Tetrazepam-haltige Arzneimittel: Ruhen der Zulassung ab 1. August 2013. Dtsch Apoth Ztg 153:106.
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- Cloos JM et al. (2009) Current use of benzodiazepines in anxiety disorders. Curr Opin Psychiatry, 22: 90-95
- Colvard MD et al. (1986) Ativan (lorazepam) induced lichenoid reaction of the human attached gingiva: case report. Periodontal Case Rep 8:69-70.
- Donnelly K et al. (2017) Benzodiazepines, Z-drugs and the risk of hip fracture: A systematic review and meta-analysis. PLoS One 12:e0174730.
- Haybarger E et al. (2016) Benzodiazepine Allergy With Anesthesia Administration: A Review of Current Literature. Anesth Prog 63:160-167.
- Lader M (2011) Benzodiazepines revisited - will we ever learn? Addiction 106: 2086-2109
- López-Muñoz F et al. (2011) The discovery of chlordiazepoxide and the clinical introduction of benzodiazepines: half a century of anxiolytic drugs. J Anxiety Disord 25: 554-562
- Martín-Merino E et al. (2015) Risk of toxic epidermal necrolysis and Stevens-Johnson syndrome associated with benzodiazepines: a population-based cohort study. Eur J Clin Pharmacol 71:759-766.
- Palacios Benito R et al. (2001) Adverse reaction to tetrazepam. J Investig Allergol Clin Immunol 11:130-131.
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- Thomas E et al. (2008) Acute generalized exanthematous pustulosis due to tetrazepam. J Investig Allergol Clin Immunol 18:119-122.
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Wick JY (2013) The history of benzodiazepines. Consult Pharm 28:538-548.