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Arteriitis cranialisM31.6
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Hutchinson 1890; Horton 1934
Definition
Chronische, segmentale, granulomatöse, obliterierende "large vessel" Vaskulitis, die sich meist an der A. carotis und ihren Abgängen manifestiert. Bevorzugter Befall der A. temporalis, A. ophthalmica, A. facialis, A. occipitalis, A. lingualis, A. maxillaris mit entsprechender Symptomatik. An der Haut existieren keine großen Gefäße; die Erkrankung kann jedoch Gefäße befallen die Hautpartien versorgen und dort möglicherweise zu umschriebenen Nekrosen führen können.
Bemerkung: 50% der Patienten leiden zusätzlich an einer Polymyalgia rheumatica! 20% der Patienten mit Polymyalgia rheumatica leiden zusätzlich an einer Arteriitis cranialis.
Vorkommen/Epidemiologie
Inzidenz: 9/1.00.000 Einwohner, bei < 50-Jährigen: <5/100.000; 6.Dez.: 40/100.000; 7.Dez.: 40/100.000 ; 8.Dez. 50/100.000 Einwohner.
Die jährliche Inzidenz in Nordeuropa liegt bei Personen > 50 Jahre >17/100.000. In Südeuropa liegt die Inzidenz bei < 12/100.000.
Ätiopathogenese
Unbekannt! Diskutiert wird ein T-Zell-abhängiges (Auto-) Immungeschehen bei genetischer Prädisposition.
Diskutiert werden Assoziationen mit viralen Infektionen (HBV, VZV, Parvovirus B19; SARS-CoV-2 - Mursi AM et al.2022) oder Borrelien, Mykoplasmen und Chlamydien (Chlamydia pneumoniae). Gehäuft wurde das Auftreten einer Riesenzellarteriitis nach Vakzination mit Covid-Vakzinen beobachtet (Mejren A et al. 2022).
Pathogenetisch handelt es sich um eine granulomatöse Riesenzellarteriitis im Bereich von Media und Adventitia der befallenen Arterienabschnitte mit konsekutiver sklerotischer Gefäßwandalteration.
Manifestation
Altersgruppe > 50. Lebensjahr; bevorzugt bei Frauen (75%), meist bei Kaukasiern.
Klinisches Bild
Plötzlicher Krankheitsbeginn!
Allgemeinsymptome: initial: pochender, temporaler Kopfschmerz, Fieber, Krankheitsgefühl, Arthralgien, Myalgien, Morgensteifigkeit und Gewichtsverlust. 50% der Patienten haben gleichzeitig eine Polymyalgia rheumatica. Weiterhin: orthostatisch bedingter Schwindel (40%); Krampfanfälle und Hemiparesen (<10%); unspezifische Hautbeteiligungen: Erythema nodosum oder Urtikaria (15%).
Arteriitis cranialis mit unterschiedlichem häufig auch gleichzeitigem Befallsmuster (Bemerkung: A. temporalis in den meisten Fällen betroffen):
A. temporalis: Häufig starke ein- oder doppelseitige, pochende Kopfschmerzen v.a. temporal und im Stirnbereich (50%), nicht selten Schmerzen beim Kauen (Kiefer-Claudicatio; Claudicatio masseterica), Rötung im Bereich der strangartig verdickten Arteria temporalis: nicht selten kann es zu klein- oder großflächigen Nekrosen der Haut (und der Galea) im Einzugsgebiet der A. temporalis kommen.
Arteria ophthalmica (30% der Fälle): Sehstörungen, Amaurosis fugax, Gefahr der Erblindung; evtl. Doppelbilder (Diplopie)
Arteria lingualis: an der Zunge schmerzhafte Rötungen, Blasen, Nekrosen.
Bildgebung
Apparative Diagnostik:
- Beurteilung der A. temporalis im Seitenvergleich (verhärtete, geschlängelte Arterien, palpable, seitendifferente Pulsationen.
- Dopplersonographische Untersuchung der Kopfarterien (u.a. Ausschluss hochgradiger A. carotis interna Stenosen).
- Farbduplex der Temporalarterien (Wandverdickung, Pulsationen).
Histologie
Histopathologischer Algorithmus der Riesenzellarteriitis (kleinste gemeinsame Nenner: kursiv, Leitsymptome: fett) variiert n. Ratzinger et al. 2105
Betriff Arterien der Subkutis und tiefergelegener Gewebe
Perivaskuläre, intramurale und /oder intraluminale Leukozytoklasie
Schädigung von Endothelzellen
Fibrin in/im Bereich von Gefäßwänden
Perivaskuläre Extravasation von Erythrozyten
Kein Ödem in der papillären Dermis
Charakteristische Riesenzellen, am häufigsten in der Nähe der internen elastischen Membran
Pathol. Veränderungen beschränkt auf Gefäß, keine extravaskulären, interstitiellen oder Weichgewebe-Granulome
Keine Eosinophilen
Plasmazellen oder Fibrosklerose in variablem Ausmaß
Reorganisation durch lymphozytäre Vaskulitis
Diagnose
Klinische Diagnose nach Kriterien des American College of Rheumatology (ACR) zur Diagnostik der A. temporalis (Hunder et al. 1990):
Alter: > 50 Jahre
neu aufgetretener Kopfschmerz
Abnorme Temporalarterien (Druckdolenz, abgeschwächte Pulsation).
BSG > 50 mm in der ersten Stunde.
Histologische Veränderungen bei Biopsie der Temporalarterie (Wichtig: segmentale Vaskulitis "skip lesions"; evtl. mehrere Biopsien notwendig! Zuvor arterieller Doppler zum Ausschluss von Strömungsgeräuschen!).
Bei Erfüllen von 3 von 5 Kriterien werden eine Sensitivität von 75-95%, eine Spezifität von 90-93%, ein positiver prädiktiver Wert von nur 29% und ein negativer prädiktiver Wert von 99% erreicht.
Weiterhin zu bestimmen sind Rheumafaktor bzw. Antikörper gegen CCP (cyclisch citrulliniertes Peptid), CRP.
Ggf. Biopsie der Schläfenarterie (evtl. beidseitig, ca. 3 cm langes Segment wegen segmentalem Befall). Hinweis: vor Biospie dopplersonographische Abklärung der arteriellen Strömungsverhältnisse.
Komplikation(en)
Umschriebene Nekrosen, Erblindung, Apoplex, Myokardinfarkt.
Therapie
Bei Therapieresistenz zusätzlich Cyclophosphamid. Dauer der Therapie bis zur Erscheinungsfreiheit und Normalisierung der Entzündungswerte.
Therapieziel ist die Reduzierung der Gefäßwandentzündung. Als Indikatoren gelten die humoralen Entzündungssymptome. Von entscheidender Bedeutung ist die Augensymptomatik. Der Fluss in der A. centralis retininae ist zu messen und kann als therapeutisches Kontrollsymptom mit einbezogen werden.
Glukokortikoide: Prednisonäquivalente in einer initialen Dosierung von 1,0-1,5 mg/kg KG für 7-14 Tage, dann Reduktion um 10 mg/Tag bis zu einer Dosierung von 25-40 mg/Tag für 4 Wochen; weitere Reduktion um 5 mg/Woche bis zur einer Erhaltungsdosis von < 10 mg/Tag p.o. über 1 Jahr. Anschließend Therapie je nach Klinik (Akute-Phase-Reaktion als Indikator der Entzündungssymptomatik).
Bereits bei einseitiger Augensymptomatik (Sehstörungen bis zur Blindheit) ist mit höheren Prednisonäquivalenten (1,5-2.0 mg/kg KG/Tag) einzusteigen. Ist dieses Therapieregime nicht ausreichend (Rezidive unter der Behandlung), ist eine additive Therapie mit Cyclophosphamid (2 mg/kg KG/Tag) nach dem Standardschema von Fauci notwendig. Hierdurch können noch etwa 4% (!) der glukokortikoidresistenten Patienten profitieren. Alternativ zu Cylophosphamid kann Methotrexat verabfolgt werden.
Nichtsteroidale Antiphlogistika: Ergänzend zur Therapie mit Glukokortikoiden NSAR in mittlerer Dosierung.
2017 wurde mit dem IL-6-Rezeptorinhibitor Tocilizumab (z.B. Actemra®) ein Biologikum zugelassen, das eine Wirksamkeit bei RZA nachweisen konnte, und gegenüber Glukokortikosteroiden eine Überlegenheit aufwies. Das Präparat ist bereits seit 2009 bei der Rheumatoiden Arthritis (RA). zugelassen.