Alport-SyndromQ87.8
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Die Erkrankung wurde nach dem südafrikanischen Arzt Arthur Cecil Alport (1880-1959) benannt. Alport beschrieb 1927 erstmalig drei Generationen einer Familie, die an einer angeborenen progressiven Nephritis und Schwerhörigkeit erkrankt waren.
Definition
Beim AS handelt es sich um eine heterogene Erkrankung, bedingt durch Varianten in Genen, die für Kollagen Typ IV kodieren. Sechs Gene (COL4A1–COL4A6), entsprechend der sechs homologen Kollagen-Ketten (α1–α6) für Kollagen Typ IV, sind bekannt. Die Mutationen führen zu einer progredienten Erkrankung der glomerulären Basalmembran. Diese ist kombiniert mit Innenohrschwerhörigkeit und Augenveränderungen (Weber S et al. (216).
Vorkommen/Epidemiologie
Prävalenz des X-chromosomalen Alport-Syndroms: 1.5000 -1:10.000. Das AS ist die häufigste hereditäre Ursache einer terminalen Niereninsuffizienz.
Betroffen sind ganz überwiegend Männer. Bei Männern in den USA ist das AS in etwa 2,5% der Fälle von terminalem Nierenversagen die Ursache, in Indien in 1,1%, in Europa in 0,64% der Fälle.
Der Verlauf beim weiblichen Geschlecht ist variabel. Selten sind Frauen schwer betroffen (das normale Allel auf dem anderen X-Chromosom wirkt teilweise kompensierend). Mädchen und Frauen mit einer heterozygoten Variante in COL4A5 weisen sowohl intra- wie auch interfamiliär ein breites Spektrum an klinischen Symptomen auf, welches von Mikrohämaturie bis hin zum Vollbild des AS reicht. Bis zu 30 % der Frauen entwickeln bis zum 60. Lebensjahr eine Niereninsuffizienz. Zusätzlich besteht ein Risiko von jeweils ca. 30 %, für eine Hochtonschwerhörigkeit und/oder Retinopathie. Als Ursache für die phänotypische Variabilität bei Mädchen und Frauen werden u. a. eine ungünstige X‑Inaktivierung und das Vorhandensein von genetischen Modifiern vermutet (Rheault MN (2012).
Ätiopathogenese
Bisher sind bei AS über 300 verschiedene Mutationen bekannt (Weber S et al. 2016). Bei bis zu 95 % der Patienten können in den bisher bekannten Genen COL4A3, COL4A4 und COL4A5 ursächliche Varianten nachgewiesen werden, wobei es sich meist um Glycin‑, Nonsense‑, Splice-Site- und Frameshift-Varianten sowie größere Deletionen bzw. Duplikationen handelt.
In bis zu 85% der Fälle X-chromosomaler Erbgang mit Mutation des auf dem Chromosom Xq22.3 lokalisierten COL4/A5-Gens, das die alpha35-Kette des Typ IV-Kollagens kodiert. Bei diesem Erbgang sind etwa 40% aller Varianten missense-Veränderungen, 10% Spleißvarianten, 7% nonsense-Veränderungen und weitere 30% führen zu einem frameshift.
In 10-15 % der Fälle autosomal-rezessiver Vorgang mit Mutationen der COL4/A3 und COL/A4-Gene, Bei 10 % besteht ein autosomal-rezessiver Erbgang, die Mutation liegt auf Chromosom 2, Genlocus q35–36. Betroffen können die Gene COL4A3 oder COL4A4 sein, die die alpha-Ketten des Typ IV-Kollagens kodieren.
Etwa 10 % der Fälle von AS beruhen auf Neumutationen.
Sehr selten liegt dem Alport-Syndrom ein autosomal-dominanter Erbgang zugrunde.
Klinisches Bild
Der Urinbefund ist bereits nach der Geburt pathologisch. Es liegt als Ausdruck einer beginnenden chronischen Glomerulonephritis eine Proteinurie und eine Mikrohämaturie vor. Intermittierend kann auch Makrohämaturie auftreten.
Im jungen Erwachsenenalter kommt es in 50 % der Fälle zu einer beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit, vor allem im Frequenzbereich 2000–8000 Hz. Bei etwa 10 % kommt es zu Augenveränderungen, meist durch eine kegelförmige Vorwölbung der Augenlinse (Lenticonus). Zu den weiteren Augenkrankheiten zählen:
- Keratokonus
- Katarakt
- Augenhintergrundveränderungen wie: Netzhautflecken in der Makula und Mitte der Peripherie.
Mit zunehmendem Alter entwickelt sich eine chronisch-progrediente Niereninsuffizienz, die meist zu Beginn der zweiten Lebensdekade eine Nierenersatztherapie notwendig macht.
Der Verlauf der Erkrankung wurde bis vor kurzem als schicksalhaft angesehen, obwohl eine molekulargenetische Diagnose im Kleinkindalter noch vor Ausbruch der Erkrankung möglich ist.
Differentialdiagnose
Therapie
Eine kausale Therapie steht derzeit nicht zur Verfügung. Eine vorbeugende Therapie mit ACE-Hemmern kann den Verlauf der Nierenerkrankung um mehrere Jahre hinauszögern. Es ist anzunehmen, dass – neben der Schädigung der Nieren durch das Alport-Syndrom selbst – vor allem auch der durch die Niereninsuffizienz entstehende Bluthochdruck die Nierenfunktion schädigt. Daher ist eine früh beginnende Blutdruckbehandlung mit niedrigen Zielwerten (120/80 mmHg) besonders wichtig. Es konnte gezeigt werden, dass ACE-Hemmer die Dialyse im Median um 18 Jahre verzögern und die Lebenserwartung eindeutig verbessern (Gross O et al. 2014).
Bei progredienter Niereninsuffizienz wird eine Dialyse notwendig. Als finale Option kommt die Nierentransplantation in Betracht.
Verlauf/Prognose
Wegen des X-chromosomalen Erbgangs sind hauptsächlich Männer betroffen. Der Verlauf ist sehr variabel, oft kommt es jedoch schon im jungen Erwachsenenalter zu einer terminalen und damit dialysepflichtigen Niereninsuffizienz.
Hinweis(e)
Die Expertenkonsenusrichtlinien befürworten statt „Alport-Syndrom“ den Ausdruck der dominant vererbten "Thin Basement Membrane Nephropathy" (Dünne Basalmembran Nephropathie, TBMN) unter Berücksichtigung seiner Grenzen. Patienten mit TBMN werden auch als Carrier für das AR-ATS angesehen.Varianten in COL4A3, COL4A4 und COL4A5 werden auch in > 30% der Patienten mit adulter fokal segmentaler Glomerulosklerose (FSGS) detektiert.
Literatur
- Gross O et al. (2012) Early angiotensin-converting enzyme inhibition in Alport syndrome delays renal failure and improves life expectancy. Kidney International 81: 494–501
- Gross O et al. (2014) Alport syndrome from bench to bedside: the potential of current treatment beyond RAAS blockade and the horizon of future therapies. Nephrol Dial Transplant 29(Suppl 4):124-130
- Mencarelli MA et al. (2015) Evidence of digenic inheritance in Alport syndrome. J Med Genet. 52:163–174.
- Temme J et al. (2012) Incidence of renal failure and nephroprotection by RAAS inhibition in heterozygous carriers of X-chromosomal and autosomal recessive Alport mutations. Kidney International 81: 779–783
- Rheault MN (2012) Women and Alport syndrome. Pediatr Nephrol 27:41–46
- Savige J et al. (2018) Expert consensus guidelines for the genetic diagnosis of Alport syndrome. Pediatr Nephrol 34:1175 https://doi.org/10.1007/s00467-018-3985-4
- Weber S et al. (2016) Identification of 47 novel mutations in patients with Alport syndrome and thin basement membrane nephropathy. Pediatr Nephrol 31:941–955