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Akute Lymphatische LeukämieC91.00
Synonym(e)
Definition
Die ALL ist eine maligne klonale Neoplasie unreifer lymphatischer Zellen der Hämatopoese in Knochenmark und Blut charakterisiert. (Bemerkung: Unreifzellig bezeichnet hierbei einen zytologischen Begriff und bezieht sich auf die Morphologie der leukämischen Zellen. Akut bezieht sich auf den Verlauf der Erkrankung. Im Allgemeinen treffen beide Begriffe den Sachverhalt, da die unreifzellige ALL meist akut verläuft). Auch alle anderen lymphatischen Organe wie Lymphknoten, Milz sowie viele nicht lymphatischen Organe wie z.B. Leber, Lunge, ZNS (Meningiosis Leukaemica), Haut (Leukämia cutis), Knochen, können betroffen sein. Hinsichtlich der Hämatopoese verdrängen wenig differenzierte oder undifferenzierte leukämischen Blasten das normale blutbildende Knochenmark. Die hämatologische Folge sind Zytopenien aller drei Zellreihen (Anämie, Thrombozytopenie, Granulozytopenie). Bei Organbetroffenheit finden sich organtypische Symptome (z.B. in der Haut: Spezifische Hautinfiltrate, unspezifische Rektionen durch Immunsuppression, Exantheme im Gefolge der Therapie, s.a. Rash of lymphocyte recovery).
Grundsätzlich wird die ALL zusammen mit den lymphoblastischen Lymphomen als Precursor Lymphoid Neoplasm vom B- oder T-Zell-Typ eingeordnet (WHO-Klassifikation 2016).
Per Definition wird eine klonale Neoplasie bei einem Knochenmarkbefall < 25% = als Lymphoblastisches Lymphom bezeichnet, bei einem Knochenmarkbefall > 25% als Akute lymphatische Leukämie (ALL).
Einteilung
Tabelle WHO-Klassifikation der ALL 2016
Precursor lymphoid neoplasms
B lymphoblastic leukaemia/lymphoma, NOS (not otherwise specified)
B lymphoblastic leukaemia/lymphoma, with recurrent genetic abnormalities
B lymphoblastic leukaemia/lymphoma, with t(9;22)(q34;q11.2); BCR-ABL1
B lymphoblastic leukaemia/lymphoma, with t(v;11q23); KMT2A rearranged
B lymphoblastic leukaemia/lymphoma, with t(12;21)(p13;q22); ETV6-RUNX1
B lymphoblastic leukaemia/lymphoma, with hyperdiploidy
B lymphoblastic leukaemia/lymphoma, with hypodiploidy
B lymphoblastic leukaemia/lymphoma, with t(5;14)(q31;q32);IL3-IGH
B lymphoblastic leukaemia/lymphoma, with t(1;19)(q23;p13.3); TCF3-PBX1
B lymphoblastic leukemia/lymphoma, with BCR-ABL1-like
B lymphoblastic leukemia/lymphoma, with iAMP21
T-lymphoblastic leukaemia/lymphoma
Early T-cell precursor lymphoblastic leukemia
Provisional entity: Natural Killer (NK) cell lymphoblastic leukemia/lymphoma
Mature B-cell neoplasms
Burkitt-Lymphom (hier ist nur die reifzellige „Burkitt“-B-ALL einzuordnen, die nicht als eigenständige Entität aufgeführt wird)
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Immunologische Subklassifikation der ALL in den GMALL-Studien
B- Linien ALL
Immunphänotypisierung: HLA-DR+, TdT+, CD19+ u./o. cyCD79a+ u./o. cyCD22+/ Inzidenz: 76%
B-Vorläufer-ALL
- Pro-B
- Immunphänotypisierung: CD10-/ Inzidenz: 11%/ typische Zyto-/Molekulargenetik: t(4v;11); KMT2A-Rearrangements
- c- (common)
- Immunphänotypisierung: CD10+/ Inzidenz: 49%/ typische Zyto-/Molekulargenetik: t(9;22); BCR-ABL; IKZF1*
- Prä-B
- Immunphänotypisierung: cyIgM+/ Inzidenz: 12%/ typische Zyto-/Molekulargenetik: t(1;19); TCF3-PBX1; t(9;22); BCR-ABL; IKZF1*
Reife B-ALL
- Immunphänotypisierung: sIg+/ Inzidenz: 4%/ typische Zyto-/Molekulargenetik: t(8;14); MYC-Rearrangements
T- Linien-ALL
Immunphänotypisierung: TdT+, cyCD3+, CD7+/ Inzidenz: 24%
- „Early“ T-ALL - Immunphänotypisierung: CD2-, sCD3-, CD1a-/ Inzidenz: 6%/ typische Zyto-/Molekulargenetik: PTEN*, N/K-RAS*
- „Thymische“ T-ALL- Immunphänotypisierung: sCD3±, CD1a+/ Inzidenz: 12%/typische Zyto-/Molekulargenetik: NOTCH1/FBXW7*
- „Mature“ T-ALL- Immunphänotypisierung: sCD3+, CD1a-/ Inzidenz: 6%
Vorkommen/Epidemiologie
Gesamtinzidenz: 1,1/100.000/ Jahr. M:w=1,4:1,0.
Pathophysiologie
Unkontrollierte Proliferation früher lymphatischer Vorläuferzellen im Knochenmark. Die Entartung kann auf verschiedenen Ebenen der lymphatischen Zellreifung stattfinden. So weisen die Leukämiezellen in Subgruppen der ALL unterschiedliche phänotypische Merkmale, z.B. Oberflächenmarker auf, die mit der Reifungsstufe und auch mit der klinischen Manifestation der Erkrankung in Zusammenhang stehen.
Mehr als 60% der erwachsenen ALL-Patienten zeigen zytogenetische Aberrationen, die häufig ebenfalls charakteristisch für bestimmte phänotypische und klinische Ausprägungen sind und z. T. eine prognostische Bedeutung haben. Bei den betroffenen Genen bzw. ihren Genprodukten handelt es sich um Proteine, die an Signaltransduktion, Transkriptionsregulation, Zellzykluskontrolle und/oder der Regulation der Apoptose beteiligt sind. Dabei hat die Veränderung einzelner Gene meist komplexe Konsequenzen für die Expression nachgeordneter Gene und deren regulativem Netzwerk. Es ist zu vermuten, dass mehrere genetische Aberrationen erforderlich sind, um die maligne Entartung lymphatischer Vorläuferzellen auszulösen. In der Folge kommt es zu Störungen der Differenzierung, Zunahme proliferativer Funktionen bzw. Verlust von Mechanismen, die Apoptose induzieren. Letztlich bringen diese Veränderungen einen Überlebensvorteil für den malignen Klon und führen zu einem Differenzierungsblock auf einer bestimmten Reifungsebene, analog zu normalen lymphatischen Progenitorzellen.
So ist die Translokation t(9;22) (Philadelphia-Chromosom, Ph) mit der Bildung des BCR-ABL Fusionsgens verbunden. Die Folge ist ein kodiertes Protein mit aberranter Tyrosinkinaseaktivität, das ursächlich mit der Entstehung der Ph/BCR-ABL-positiven ALL in Zusammenhang steht. Mit neuen molekulargenetischen Verfahren gelingt es schon innerhalb der B-Vorläufer ALL 23 Subtypen zu identifizieren (Gu Z et al. 2019). Deren prognostische Bedeutung ist derzeit im Einzelfall nicht immer geklärt. Bei der der BCR-ABL-like ALL können potentielle Therapietargets schon identifiziert werden.
Vermutete endogene und exogene Risikofaktoren sind:
- Genetische Faktoren: kongenitale Defekte von DNA-Reparaturmechanismen (Beispiel: Ataxia teleangiectasia). Bei Patienten mit Trisomie 21 ist durch den Gendefekt das Risiko einer akuten Leukämie gegenüber Vergleichsgruppen um das 18-fache erhöht.
- Ionisierende Strahlen (z.B. Hiroshima, 32P-Therapie nach Polycythämia vera)
- Exposition gegenüber myelotoxischen Chemikalien, wie Benzol (BK-Nr.1303!), Chloramphenicol u.a.
- ALL als Folgeneoplasien nach Chemotherapie z.B. mit Alkylantien, Epipodophyllotoxinen
- Viren: HTLV1 (oder 2)-Viren verursachen eine endemische (Südjapan, Karibik) Sonderform der T-All (C91.5)
Manifestation
Der absolute Häufigkeitsgipfel liegt im Kindesalter unter 5 Jahren (5,3/100.000). Danach fällt die Inzidenz kontinuierlich ab. Bei über 50-jährigen Patienten steigt sie erneut langsam an und erreicht einen zweiten Häufigkeitsgipfel im Alter > 80 Jahren (2,3/100.000).
Klinisches Bild
Das klinische Bild der ALL ist charakterisiert durch die Proliferation und Akkumulation maligne entarteter, unreifer lymphatischer Blasten in Knochenmark, Blut, lymphatischem und nicht-lymphatischem Gewebe.
Symptome der hämatologischen Insuffizienz sind:
- Anämie: blasse Haut und Schleimhäute, Tachykardie, Dyspnoe, Schwindel, Leistungsminderung
- Granulozytopenie bei Leukopenie oder Hyperleukozytose oder normal hohen
- Gesamtleukozytenzahlen im Blutbild: Fieber, Infektneigung
- Thrombozytopenie: Blutungsneigung, Hämatomneigung, Petechien.
Ein Drittel der Patienten leidet bei Diagnosestellung unter Infektionen oder Blutungen. Fast 60% weisen Lymphknotenvergrößerung auf. Ebenso häufig liegt eine Splenomegalie vor. Ein Mediastinaltumor findet sich in 14% der Fälle von ALL insgesamt, aber bei 60% der Patienten mit T-ALL. In 9% der Fälle von ALL liegt ein anderer extramedullärer Organbefall vor.
Ein ZNS-Befall wird meist im Rahmen einer Routineuntersuchung des Liquors diagnostiziert; es können aber auch Symptome auftreten, angefangen von Kopfschmerzen, Erbrechen, Lethargie, Nackensteifigkeit über Nervenausfälle (insbesondere Hirnnerven) bis hin zu Querschnittsymptomen bei Befall des Rückenmarks.
Hautsymptome (Leukämia cutis) sind selten. Die Inzidenz ist unbekannt. Häufig wird nicht zwischen AML und ALL unterschieden. Sie gliedern sich nach spezifischen (leukämische Infiltrate der Haut) und unspezifischen (Hautveränderungen im Rahmen der Immunsuppression).
Bei 60% der ALL-Patienten findet man eine Leukozytose. Das Fehlen von Leukozytose, Anämie, Thrombozytopenie oder auch das Fehlen von Blasten im Blut schließen eine ALL nicht aus. In der Regel entwickeln sich die Krankheitssymptome innerhalb von Tagen und gehen mit einem raschen Verlust der körperlichen Leistungsfähigkeit einher.
Diagnostik
Folgende Untersuchungen werden als notwendig erachtet:
- Anamnese und körperliche Untersuchung
- Allgemeinzustand und Evaluierung von Komorbiditäten
- EKG und Echokardiographie
- Labor: Blutbild, Differentialblutbild, klinische Chemie einschließlich Gerinnungsdiagnostik und Urinanalyse
- ggf. HLA-Typisierung (bei potentieller Indikation für eine Stammzelltransplantation)
- Virologie: Infektiologische Untersuchungen einschließlich Hepatitis-B,-C- und HIV-Serologie
- Schwangerschaftstest
- Lumbalpunktion mit zytologischer Liquordiagnostik und intrathekaler Therapie
- Immunphänotypisierung (Knochenmark)
- Molekulargenetik BCR-ABL, KMT2A-AFF1
- Zytogenetik und Molekularzytogenetik zum Nachweis einer Translokation t(9;22); t(4;11), u. a.
-
Hinweis: Aufklärung über fertilitätserhaltende Maßnahmen und Notwendigkeit der Antikonzeption. Bei allen Patienten sollte die Möglichkeit der Biomaterial-Asservierung z.B. im Rahmen der Studiengruppe angestrebt werden.
Diagnostik
Bei Verdacht auf eine ALL ist die Durchführung einer Knochenmarkuntersuchung obligatorisch. Bei einigen Patienten, insbesondere solchen mit massiver Infiltration oder Fibrose des Knochenmarks, gelingt dies nicht (Punctio Sicca). Dann muss eine Stanzbiopsie erfolgen und ggf. zusätzlich die Diagnostik mit Blasten aus dem peripheren Blut durchgeführt werden. Bei 97% der Patienten weist das Knochenmark eine massive leukämische Infiltration von mehr als 50% mit entsprechender Einschränkung von Erythropoese, Thrombopoese und Granulopoese auf.
Bei lymphoblastischen Lymphomen (LBL) wird die Diagnose häufig im Rahmen einer histologischen Untersuchung gestellt.
Die Abgrenzung von ALL und LBL erfolgt anhand eines prozentualen Blastenanteils im Knochenmark von 25%.
Bildgebung
Röntgenthorax
Sonographie (Abdomen, Halsorgane, Lymphknoten)
CT: Thorax und Abdomen; gezielte weitere Untersuchungen je nach Symptomatik)
Differentialdiagnose
Die immunologische und morphologische Identifizierung lymphatischer Blasten erlaubt die Abgrenzung von akuter myeloischer Leukämie (AML), myelodysplastischem Syndrom (MDS), chronischer lymphatischer Leukämie, lymphatischem Blastenschub bei CML oder anderen Formen chronischer und akuter Leukämien sowie von reaktiven Lymphozytosen, z. B. bei infektiöser Mononukleose. Die Abgrenzung der ALL von T- oder B-lymphblastischen Lymphomen erfolgt anhand des Blastenanteils im Knochenmark.
Bei etwa 29% der Patienten zeigen die typischen ALL-Blasten die Koexpression myeloischer Oberflächenmarker wie CD13, CD33 (>20%). Bestimmte Subgruppen der ALL gehen mit einer höheren Inzidenz myeloischer Koexpression einher, z. B. „early“ T-ALL, pro-B-ALL, Ph/BCR-ABL-positive ALL. Die myeloische Koexpression ist prognostisch nicht relevant. Die Patienten werden analog den betreffenden ALL-Protokollen behandelt.
Therapie allgemein
Der Therapieanspruch ist kurativ. Der Standard wird durch die Studien und Expertenempfehlungen der GMALL (German Multicenter Study Group for Adult Acute Lymphoblastic Leukemia) etabliert. Die Langzeitüberlebensraten bei Erwachsenen haben sich in den letzten Jahrzehnten verbessert und liegen mit den aktuellen Therapiekonzepten für Patienten bis zum Alter von 55 Jahren bei etwa 60-70% mit großer Variationsbreite je nach Alters- und Risikogruppe.
Interne Therapie
Die Therapie der ALL wird in mehrere Phasen unterteilt: Induktions-, Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie. Ziel der Induktionstherapie ist die Induktion einer kompletten Remission (CR) der Erkrankung. Das Erreichen einer CR ist Grundvoraussetzung für ein Langzeitüberleben bzw. Heilung der Erkrankung. Die Therapieabschnitte Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie dienen der Aufrechterhaltung der kompletten Remission und werden unter dem Begriff der Postremissionstherapie zusammengefasst.
Vorphase-Therapie: Bei allen Patienten sollte eine Vorphase-Therapie (Dexamethason, Cyclophosphamid) zur Vermeidung eines Tumorlyse-Syndroms durchgeführt werden. Auch bei Patienten mit Hyperleukozytose reicht die Vorphase-Therapie im Allgemeinen für eine schonende Zellreduktion aus.
Induktionstherapie bei unter 55jährigen Patienten mit ALL oder LBL: Standardmedikamente für die eigentliche Induktionstherapie sind Vincristin und Dexamethason in Kombination mit einem Anthrazyklin-Derivat (meist Dauno-/Doxorubicin). Zusätzlich wird Asparaginase in der Induktionstherapie eingesetzt; die Substanz ist spezifisch bei ALL wirksam und unterscheidet sich im Hinblick auf Wirkungsmechanismus, Resistenz und Nebenwirkungsspektrum von anderen Zytostatika.
Nach Induktionsphase I erfolgt eine Remissionskontrolle mit MRD-Bestimmung. Wird hier nach zytologischem Befund keine komplette Remission (Blastenanteil <5%) erreicht, muss der Patient der Hochrisikogruppe zugeordnet werden. Bei grenzwertigen zytologischen Befunden sollte für die abschließende Einordnung der MRD-Befund abgewartet werden. Der alleinige Nachweis CD10/CD19-positiver Zellen in der Flowzytometrie kann weder als eindeutiger Blastennachweis noch als MRD-Nachweis gewertet werden, da es sich gerade im regenerierenden Knochenmark auch um Hämatogonen handeln kann. Bei initial detektierten extramedullären Befällen sollten diese durch eine entsprechend geeignete Bildgebung nachverfolgt und in die Gesamtbewertung der Remission einbezogen werden.
In Induktionsphase II erfolgt die Zugabe weiterer Medikamente – Cyclophosphamid, Cytosin-Arabinosid, 6-Mercaptopurin sowie die intrathekale Prophylaxe mit Methotrexat. In der Regel bewirkt die Induktionsphase II nochmals einen deutlichen Abfall der minimalen Resterkrankung (Gökbuget N et al. (2012).
Konsolidierungstherapie: Die Durchführung einer intensiven Konsolidierungstherapie ist Standard in der Therapie der ALL. Für die Konsolidierungstherapie existieren international sehr unterschiedliche Konzepte und die Wirksamkeit einzelner Elemente ist kaum einzeln nachweisbar. Die verfügbaren Daten deuten jedoch darauf hin, dass zyklische Konsolidierungstherapie mit wechselnden Substanzen und insbesondere der intensive Einsatz von hochdosiertem Methotrexat, Hochdosis-Cytarabin, die erhöhte Dosisintensität für Asparaginase ebenso wie die Wiederholung der Induktionstherapie (Reinduktion) vorteilhaft ist. Essenziell ist die möglichst zeitnahe Durchführung der Therapieblöcke in der Konsolidierungstherapie.
Erhaltungstherapie: Für alle ALL-Patienten (außer für Patienten mit reifer B-ALL/Burkitt-Leukämie), die keine SZT erhalten ist nach Abschluss der Konsolidations- und Intensivierungszyklen eine Erhaltungstherapie Behandlungsstandard. Alle Studien, in denen auf eine Erhaltungstherapie verzichtet wurde, haben deutlich ungünstigere Gesamtergebnisse gebracht. In der Erhaltungstherapie wird wöchentlich Methotrexat und täglich Mercaptopurin oral appliziert. Die Dosierungen werden an das Blutbild angepasst.
Stammzelltransplantation (SZT): Die allogene SZT ist bei der ALL des Erwachsenen ein wesentlicher Bestandteil der Postremissionstherapie. Es werden sowohl Familien- als auch Fremdspender eingesetzt, wobei aufgrund der ausgezeichneten Spenderregister inzwischen doppelt so viele Fremd- wie Familienspender-Transplantationen durchgeführt werden. Die Ergebnisse sind vergleichbar. Die autologe SZT wird nach einer weiteren Konsolidationstherapie nur noch in seltenen Einzelfällen durchgeführt. Die Indikationsstellung für eine SZT in erster Remission wird international unterschiedlich gestellt. Die Mehrzahl der Studiengruppen verfolgt eine risikoadaptierte Indikationsstellung für eine SZT in Erstremission (Giebel S et al. 2019). Bei allen Patienten mit Hochrisiko-Merkmalen wird eine Transplantation in erster CR angestrebt. Bei Standardrisiko-Patienten wird in Erstremission keine Transplantation angestrebt, da diese auch mit konventioneller Chemotherapie eine Überlebensrate von über 60% erreichen. Die Indikationsstellung für die SZT erfolgt bei Standardrisiko-Patienten bei molekularem Rezidiv oder Therapieversagen.
ZNS-Prophylaxe: Die Durchführung einer effektiven Prophylaxe von ZNS-Rezidiven hat in der Therapie der ALL einen entscheidenden Stellenwert. Risikofaktoren für die Entwicklung von ZNS-Rezidiven sind T-ALL, reife B-ALL/Burkitt-Leukämie sowie eine hohe Leukozytenzahl bei Diagnosestellung. Als Therapiemodalitäten stehen intrathekale Therapie mit Methotrexat, mit einer Dreifach-Kombination (Methotrexat, Cytarabin, Steroid), systemische Hochdosis-Therapie mit Methotrexat und/oder Cytarabin sowie eine Ganzhirnbestrahlung (24 Gy) zur Verfügung. Bei initialem ZNS-Befall muss eine intensivierte intrathekale Therapie mit 2- bis 3-mal wöchentlichen Gaben bis zur Blastenclearance und 1-2 weiteren Konsolidierungsgaben durchgeführt werden. Bei häufiger intrathekaler Instillation von Methotrexat sollte zur Mukositisprophylaxe ein Leukovorin-Rescue durchgeführt werden.
Therapie der Ph/BCR-ABL-positiven ALL: Das Philadelphia-(Ph-)Chromosom bzw. das korrespondierende Fusionstranskript BCR-ABL ist mit einer Inzidenz von 30–50% innerhalb der B-Vorläufer-ALL die häufigste wiederkehrende Aberration bei der ALL. Die Inzidenz nimmt mit dem Alter zu. Durch den Einsatz von Tyrosinkinase-(TK-)Inhibitoren, insbesondere Imatinib, hat sich die Prognose dieser Subgruppe deutlich verbessert (Ravandi F 2019).Bei jüngeren Patienten wird Imatinib in Kombination mit Chemotherapie eingesetzt. Dabei werden Remissionsraten von über 90% erreicht; die molekulare Remissionsrate liegt bei über 50%.
Wegen der Entwicklung von Resistenzen und Rezidiven unter Chemotherapie in Kombination mit TKI scheint die Stammzelltransplantation weiterhin die einzige Möglichkeit zur Erzielung von Langzeitremission bei Ph+ ALL zu sein. Eine weitere Verbesserung scheint durch die Gabe von Imatinib nach Transplantation möglich.
Bei älteren Patienten mit Ph+ ALL wurde bisher vorwiegend der Ansatz einer Induktionstherapie mit Imatinib als Monotherapie in Studien geprüft. Diese Therapie, die häufig ambulant durchgeführt werden kann, erzielt bei 90% der Patienten eine CR und ist damit einer intensiven Induktionschemotherapie in Kombination mit Imatinib überlegen (Ottmann OG et al. (2007).
Entscheidend für die Therapiesteuerung ist die quantitative Messung der MRD sowie bei MRD-Nachweis die Messung von resistenzinduzierenden Mutationen mit möglichst hoher Sensitivität.
Rezidiv: Die Wahrscheinlichkeit des Rezidivs ist in den ersten beiden Jahren nach Erreichen der CR am höchsten. Frühe Rezidive mit einer primären Remissionsdauer unter 18 Monaten sowie refraktäre Rezidive sind prognostisch ungünstig. Hauptziel beim Management von Rezidivpatienten ist das Erreichen einer kompletten Remission und die anschließende Stammzelltransplantation, sofern die Patienten individuell dafür geeignet sind. Das Erreichen einer CR ist Voraussetzung für die Stabilisierung des Patienten mit hämatologischer Remission und in der Regel auch für die nachfolgende Transplantation. Eine molekulare Remission sollte möglichst angestrebt werden, auch wenn die prognostische Bedeutung der MRD nach Rezidiv weniger klar ist, als in der Erstlinientherapie. Das Gesamtüberleben der ALL nach Rezidiv liegt in publizierten Studien bei <10% (Gökbuget N et al. 2012). Immer häufiger gelingt es, durch konsequente MRD-Bestimmung, das Ansteigen der Leukämielast vor Auftreten eines zytologischen Rezidivs zu identifizieren und eine Behandlung bereits in der MRD-Situation zu beginnen. In der Behandlung von Frührezidiven und refraktären Rezidiven der B-Vorläufer-ALL bringen Standardchemotherapien signifikant schlechtere Ergebnisse als die neuen Immuntherapien mit Blinatumomab oder Inotuzumab (Kantarjian HM et al. 2016).
CAR-T:Es existieren vielversprechende Daten für den Einsatz gentechnisch veränderter T-Zellen. Die sog. Chimeric-Antigen-Receptor-T-Zellen (CAR-T) werden aus T-Zellen der Patienten ex-vivo hergestellt und dabei mit einem Antigen-Rezeptor gegen Oberflächen-Marker von Leukämiezellen sowie verschiedenen Signaltransduktions-Elementen versehen (Majzner RG et al. 2019). Die Therapie mit chimären Antigenrezeptor-modifizierten T-Zellen (CART) hat die Behandlung von Patienten mit rezidivierter oder refraktärer akuter lymphoblastischer Leukämie (ALL) mit B-Zellen deutlich verbessert (Yang M et al. 2020)
Bemerkung: Lymphoblastische Lymphome (Knochenmarkbefall < 25%) können sehr erfolgreich mit adaptierten Schemata für die ALL behandelt werden.
Verlauf/Prognose
Prognosefaktoren sind bei der ALL des Erwachsenen allgemeine akzeptiert (Beldjord K et al. 2014; Roberts KG 2017) . Es gibt allerdings einige Unterschiede in der Risikostratifikation der einzelnen Studiengruppen und insbesondere im Hinblick auf die therapeutischen Konsequenzen.
Riskokgruppen (ungünstige Prognosefaktoren bei der ALL des Erwachsenen):
Hohe Leukozytenzahl > 30.000/µl bei B-Vorläufer-ALL
Subtyp pro B, early T-ALL, reife T-ALL
Späte CR > 3 Wo (nach Induktion II)
Zytogenetische / Molekulare Aberrationen: t(9;22) - BCR-ABL ; t(4;11) - KMT2A-AFF1
Minimale Resterkrankung
MRD-Niveau über 10-4 nach Frühkonsolidierung
MRD-Anstieg über 10-4 nach vorheriger molekularer CR
Die aufgeführten Risikofaktoren definieren eine Standardgruppe (ohne ungünstige Prognosefaktoren) und einer Hochrisikogruppe (mindestens ein ungünstiger Prognosefaktor).
Verlauf/Prognose
Bestimmung der minimalen Resterkrankung: Die Nachweisgrenze für leukämische Blasten bei der mikroskopischen Untersuchung von Knochenmarkausstrichen liegt bei 5%. Sehr viel sensitiver ist die Untersuchung des Therapieansprechens mit Hilfe von Methoden, die den Nachweis von leukämischen Blasten weit unterhalb der zytologischen Nachweisgrenze erlauben, die sog. „minimal residual disease“ (MRD). Die Sensitivität dieser Methoden sollte mindestens 10–4 erreichen (entspricht dem Nachweis einer Leukämiezelle in 10.000 normalen Zellen). Damit können bei Patienten, die klinisch und zytologisch in kompletter Remission sind, Leukämiezellen nachgewiesen und im Verlauf untersucht werden. In 90-95% der Fälle gelingt es, einen molekularen Marker für die MRD-Bestimmung zu etablieren.
Für die Quantifizierung der minimalen Resterkrankung können verschiedene Verfahren herangezogen werden, z.B. PCR-Analysen von definierten Fusionsgenen oder die Durchflusszytometrie zum Nachweis individueller leukämietypischer Kombinationen von Oberflächenmarkern. Den höchsten Grad der Standardisierung bei gleichzeitig breitester Anwendbarkeit und Sensitivität erreicht der Nachweis individueller, klonaler Gen-Rearrangements von Immunglobulingenen (IGH, IGK) oder T-Zell-Rezeptoren (TRB, TRG, TRD) mit real-time PCR (van Dongen JJ et al. (2015).
MRD ist zu jedem Zeitpunkt unter und nach Therapie ein hochsignifikanter Prognosefaktor. Das frühe Erreichen einer molekularen CR charakterisiert eine Subgruppe von Patienten mit sehr günstiger Prognose, während Patienten mit persistierender MRD oder molekularem Rezidiv nach Konsolidation I eine hohe Rezidivrate haben (Gökbuget N et al. (2012). Dies gilt sogar bei nachfolgender Stammzelltransplantation. Da die Persistenz der MRD auf eine Resistenz gegenüber der konventionellen Chemotherapie hindeutet, ist im Fall eines molekularen Therapieversagens oder molekularen Rezidivs notwendig, eine Therapieumstellung und den Einsatz zielgerichteter Therapien zu erwägen.
Persistenz der MRD ist aktuell der ungünstigste Prognosefaktor bei der ALL des Erwachsenen. Daher muss die MRD-Bestimmung bei allen Patienten durchgeführt werden. Unter Therapie und im ersten Jahr nach Ende der Erhaltungstherapie sollten die Kontrollen etwa alle 2-3 Monate erfolgen.
Literatur
- Beldjord K et al. (2014) Oncogenetics and minimal residual disease are independent outcome predictors in adult patients with acute lymphoblastic leukemia. Blood 123:3739-3749.
- Giebel S et al. (2019) Hematopoietic stem cell transplantation for adults with Philadelphia chromosome-negative acute lymphoblastic leukemia in first remission: a position statement of the European Working Group for Adult Acute Lymphoblastic Leukemia (EWALL) and the Acute Leukemia Working Party of the European Society for Blood and Marrow Transplantation (EBMT). Bone Marrow Transplant 54:798-809
- Gökbuget N et al. (2012) Outcome of relapsed adult lymphoblastic leukemia depends on response to salvage chemotherapy, prognostic factors, and performance of stem cell transplantation. Blood 120:2032-2041.
- Gökbuget N et al. (2012) Adult patients with acute lymphoblastic leukemia and molecular failure display a poor prognosis and are candidates for stem cell transplantation and targeted therapies. Blood 120:1868-1876.
- Gu Z et al. (2019) PAX5-driven subtypes of B-progenitor acute lymphoblastic leukemia. Nat Genet 51:296-30.
- Kantarjian HM et al. (2016): Blinatumomab treatment of older adults with relapsed/refractory B-precursor acute lymphoblastic leukemia: Results from 2 phase 2 studies. Cancer 122:2178-2185.
- Majzner RG et al. (2019) Clinical lessons learned from the first leg of the CAR T cell journey. Nat Med 25:1341-1355.
- Ottmann OG et al. (2007) Imatinib compared with chemotherapy as front-line treatment of elderly patients with Philadelphia chromosome-positive acute lymphoblastic leukemia
- Ravandi F(2019) How I treat Philadelphia chromosome-positive acute lymphoblastic leukemia. Blood 133:130-136.
- Roberts KG (2017) The biology of Philadelphia chromosome-like ALL. Best Pract Res Clin Haematol 30:212-221.
- van Dongen JJ et al. (2015) Minimal residual disease diagnostics in acute lymphoblastic leukemia: need for sensitive, fast, and standardized technologies. Blood 125:3996-4009.
- WHO-Klassifikation (2017) WHO Health Organization Classification of Tumours of Haematopoietic and Lymphoid Tissues” International Agency for Research of Cancer , Revised 4th Edition, Lyon.
- Yang M et al. (2020) Chimeric antigen receptor-modified T-cell therapy for bone marrow and skin relapse Philadelphia chromosome-like acute lymphoblastic leukemia: A case report. Medicine (Baltimore) 99:e18639.