Perioperative ArzneimittelreaktionenL23.3; L24.4; L25.1; L27.0; L27.1;
Synonym(e)
Definition
Überempfindlichkeiten gegenüber Arzneimitteln, die auf Grund einer operativen Maßnahme in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zu dieser – vor, während oder nach dem operativen Eingriff- appliziert wurden.
Einteilung
Zu den häufigsten (rund 60% der Fälle) Auslösern der POAR gehören Muskelrelaxanzien (Atracurium, Cis-Atracurium, Mivacurium, Pancuronium, Suxamethonium). Sie können sowohl IgE-mediiert als auch nicht-immunologisch ausgelöst werden. Weiterhin:
- Naturlatex: 20% der Fälle
- Antibiotika: Penicilline, Cephalosporine rund 15% der Fälle.
- Weitere (eher seltene) Auslöser sind Chlorhexidin, NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika), Allgemeinanästhetika (z.B. Propofol, Ketamin, Thiopental,Etomidat ), Opioide, Heparine, Benzodiazepine (Midazolam), Röntgenkontrastmittel (Iotrolan, Iodixanol), (Lokalanästhetika (Lidocain).
Vorkommen/Epidemiologie
1.10.000 (Pützner W et al. 2018)
Ätiopathogenese
In der Regel handelt es sich um Sofortreaktionen (Auftreten < 1 Stunde nach Gabe des auslösenden Arzneimittels). Rund 2/3 der Reaktionen sind IgE-vermittelt, 1/3 sind nicht-immunologisch vermittelt. Wenige Fälle können als T-zelluläre Spätreaktionen eingestuft werden.
Klinisches Bild
Am häufigsten sind kutane, kardiovaskuläre (Hypotension, Tachykardie, paradoxe Bradykardie) und respiratorische Symptome nachweisbar. An der Haut werden Urtikaria, Flush beschrieben.
Spätreaktionen zeigen sich als:
- Heparinallergie (am dermatitische Reaktionen am Injektionsort)
- verzögerte Urtikaria/Angioödeme (z.B. NSAR-Überempfindlichkeit)
- sowie urtikarielle oder makulo-papulöse Exantheme nach Antibiotika-Applikationen.
Diagnose
Bei Verdacht auf eine POAR sollte 1-2 Stunden nach den ersten klinischen Symptomen Serum zur Bestimmung der Mastzelltryptase abgenommen werden. Diese zeigt bei anaphylastischen Reaktionsformen in 80% eine Steigerung im Vergleich zum Basalwert. Als positiv bewertet wird eine Steigerung um 2ng/ml.
In-vitro-Tests wie der Lymphozytentransformationstest, CAST oder Basophilenaktivierungstet sind in ihrer Sensitivität und Spezifität als kritisch einzuschätzen (Bonadonna P et al. (2015).
Hauttests 8 in der Reihenfolge: Pricktest, Intrakutantest falls i.v. des AM zur Verfügung stehen) sind v.a. bei anaphylaktischen Reaktionen empfehlenswert.
Übersicht über maximale Hauttestkonzentrationen von Arzneimitteln in der Narkoseeinleitung (var. nach Brockow K et al. 2013).
- Midazolam (5,0 mg/ml) – Pricktest (5,0 mg/ml) - Intrakutantest 0,5 mg/ml
- Propofol (10 mg/ml) – Pricktest (10 mg/ml) - Intrakutantest 1,0 mg/ml
- Ketamin (10 mg/ml) – Pricktest (10 mg/ml) - Intrakutantest 1,0 mg/ml
- Thiopental (25 mg/ml) – Pricktest (25 mg/ml) - Intrakutantest 2,5 mg/ml
- Etomidate (2,0 mg/ml) – Pricktest (2,0 mg/ml) - Intrakutantest 0,2 mg/ml
- Morphin (10,0 mg/ml) – Pricktest (1,0 mg/ml) - Intrakutantest 0,01 mg/ml
- Fentanyl (0,05 mg/ml) – Pricktest (0,05 mg/ml) - Intrakutantest 0,05 mg/ml
- Sufentanyl (0,05 mg/ml) – Pricktest (0,05 mg/ml) - Intrakutantest 0,005 mg/ml
- Alfentanyl (0,5 mg/ml) – Pricktest (0,5 mg/ml) - Intrakutantest 0,05 mg/ml
- Atracurium (10,0 mg/ml) – Pricktest (1,0 mg/ml) - Intrakutantest 0,01 mg/ml
- Cis-Atracurium (2,0 mg/ml) – Pricktest (2,0 mg/ml) - Intrakutantest 0,02 mg/ml
- Suxamethonium (50,0 mg/ml) – Pricktest (10,0 mg/ml) - Intrakutantest 0,1 mg/ml
Prophylaxe
Entsprechend den Empfehlungen für ihre Gabe bei Röntgenkontrastmittelallergikern kann z.B. Methylprednisolon 32mg p.o. 12- bzw. 2 Stunden vor elektiven Eingriffen bzw. 40mg i.v. 1-4 Stunden vor Notfalleingriffen appliziert werden. Zusätzlich Dimetinden 4mg i.v. 30 min. vor OP.
Literatur
- Asserhøj LL et al. (2016) No evidence for contraindications to the use of propofol in adults allergic to egg, soy or peanut†. Br J Anaesth 116:77-82.
- Bonadonna P et al. (2015) Drug hypersensitivity in clonal mast cell disorders: ENDA/EAACI position paper. Allergy 70:755-763.
- Brockow K et al. (2013) Skin test concentrations for systemically administered drugs -- an ENDA/EAACI Drug Allergy Interest Group position paper. Allergy 68:702-712.
- Pützer W et al. (2018) Perioperative Arzneimittelreaktionen – praktische Empfehlungen zu Allergietests und Patientenmangement. Allergo J Int 27: 126-129