Sensitives Haut-Syndrom T78.4
Synonym(e)
Definition
Das „Sensitive Haut-Syndrom“, SSS auch „Syndrom der empfindlichen Haut“ genannt, ist klinisch durch charakteristische, subjektive Sinneswahrnehmungen wie Spannungsgefühl, abnormes Stechen, Brennen, Kribbeln, Schmerzen und Juckreiz definiert, die die Lebensqualität der Betroffenen deutlich reduziert (International Forum for the Study of Itch). Verursachende Hautkrankheiten liegen nicht vor, bzw. sind auszuschließen. Inkonstant assoziiert sind Rötungen. Da es sich bei SSS um ein selbst diagnostiziertes Leiden handelt ohne objektivierbare organische Befunde, ist per definitionem eine Quantifizierung schwierig. Akzeptable und objektive Screening-Tests fehlen bisher (Lev-Tov H et al. 2012).
Vorkommen/Epidemiologie
Um einen systematischen klinischen Ansatz zu formulieren, wurde in der Vergangenheit versucht, die Erkrankung besser zu charakterisieren. In einer großen epidemiologischen englischen Studie (n = 2316) gaben 51,4 % der Frauen und 38,2 % der Männer an, eine empfindliche Haut zu haben (Willis CM et al. 2001). Interessanterweise schien Atopie bei den teilnehmenden Frauen keinen Einfluss auf die selbst wahrgenommene Überempfindlichkeit zu haben. Messungen des transepidermalen Wasserverlusts und Messungen des dielektrischen Wassergehalts ergaben jedoch keine Unterschiede in der Reaktivität zwischen Männern und Frauen (Lammintausta K et al. 1987; Björnberg A et al. 1975). Offensichtlich ist die Selbstwahrnehmung der Hautempfindlichkeit bei Frauen im Vergleich zu der bei Männern erhöht. Durch Testverfahren lässt sich das jedoch nicht objektivieren. Ethnische Unterschiede in der Hautreaktivität führten zu der klinischen Hypothese, dass die Haut bei dunkel pigmentierten Menschen weniger reaktiv ist als die Haut von hellhäutigen Kaukasiern, und diese wiederum weniger reaktiv ist als die Haut von Asiaten (Modjtahedi SP et al. 2002).
Ätiopathogenese
Kosmetika sind die Hauptauslöser für empfindliche Haut. Das Vorhandensein von potenziell reizenden Substanzen in Kosmetika kann die klinische Ausprägung der Symptome verstärken. Weiterhin können die Symptome durch ein irritatives Umfeld mit Kälte, Hitze, Trockenheit, Umweltverschmutzung, Wind, Chemikalien verschlimmert werden (Wollenberg A et al. 2022).
Pathophysiologie
Das „Sensitive Haut-Syndrom“ ist eine häufige und schwierige Erkrankung, über deren zugrunde liegende Pathophysiologie jedoch wenig bekannt ist. Patienten mit SSS klagen häufig über subjektive Beschwerden wie schwere Gesichtsreizungen, Brennen und/oder Stechen nach dem Auftragen kosmetischer Produkte. Die beklagten Beschwerden stehen jedoch in keinem Verhältnis zu den objektiven klinischen Befunden. Grundsätzlich könnte das Sesnsitive Haut-Syndrom als ein Zustand der „Hyperreaktivität auf Umweltreize“ definiert werden. Grundsätzlich scheint das SSS eher ein orthergisches (toxisches) Phänomen als eine immunologische Reaktion zu sein. Eine Beeinträchtigung der Hautbarriere wurde diskutiert (di Nardo A et al. 1996).
Manifestation
Junge Patienten scheinen häufiger betroffen zu sein als alte Patienten (Wöhrl S et al. 2003, Robinson MK 2002).
Lokalisation
Die Symptome betreffen v.a. das Gesicht, seltener andere Körperteile ((Misery L et al. 2020).
Klinisches Bild
Patienten mit Sensitivem Haut-Syndrom stellen sich oft mit subjektiven Beschwerden vor, die in keinem Verhältnis zu den objektiven klinischen Befunden stehen. Sie klagen über starke Reizungen, Brennen und/oder Stechen im Gesicht nach der Anwendung von kosmetischen Produkten und Hygieneartikeln wie Sonnenschutzmitteln und Seifen, zeigen jedoch nicht die für eine dermatitische Reaktion zu erwartenden klinischen Phänomene wie: Erythembildung, Infiltration oder Schuppungen (Maibach HI 1987; Pons-Guiraud A 2004). Nicht selten wird der Zustand durch bestimmte klimatische Bedingungen verschlimmert (Berardesca E et al. 2006; Saint-Martory C et al. 2008). Maibach umschrieb das Syndrom mit dem Begriff der „kosmetischen Intoleranz“ für den Fisher den Begriff „Status cosmeticus“ prägte. Er definierte einen „extremen Zustand“ des SSS, bei dem der Patient allmählich völlig intolerant gegenüber der Anwendung jeglicher kosmetischer Produkte wird (Fisher AA 1990).
Differentialdiagnose
Einige Dermatosen, die für die meisten Kliniker einfach zu diagnostizieren sind, können ein atypisches Erscheinungsbild haben und daher nicht die "erwartete" Morphologie aufweisen: kontaktallergische Ekzeme, atopische Dermatitis, Rosazea, seborrhoische Dermatitis sind wahrscheinlich die vier häufigsten Diffeenzialdiagnosen. Auszuschließen ist auch eine Kontakturtikaria.
Der konsultierte Arzt sollte bei der Beurteilung von Hautbeschwerden ohne objektive Befunde immer auch an eine körperdysmorphe Störung (BDD) denken. Eine Einbeziehung eines Psychiaters ist angezeigt, da diese Patienten durchaus suizidgefährdet sind (36. Singh S et al. 1996).
Multiple chemische Sensitivität (MCS), eine durch Chemikalienexposition bedingte "Überempfindlichkeit", die sich durch rezidivierende Symptome an unterschiedlichen Organen kennzeichnet (s.a. Öko-Syndrom).
Therapie
Für die Behandlung von SSS wurden spezielle Algorithmen entwickelt, die zwar auf gesammelten klinischen Erfahrungen beruhen für deren Anwendung jedoch keine experimentellen Belege vorliegen. Diese Algorithmen umfassen vier grundlegende Schritte: Absetzen, Bewertung, Prüfung und langsame Wiedereinführung. Das Absetzen aller topischen Medikamente und/oder Produkte sowie der Verzicht auf Aktivitäten und Kleidung, die zu Hautreizungen führen, sollte eingeleitet werden und kann bis zu 12 Monate dauern. Der Patient sollte dann auf das Auftreten von sichtbaren Dermatosen untersucht werden. Wenn zugrundeliegende Dermatosen ausgeschlossen sind sollten Patch- und Photopatch-Tests mit Routineallergenen sowie mit allen Hautpflegeartikeln des Patienten durchgeführt werden. Bei negativem Ausfall aller Testverfahren, ist eine psychiatrische Untersuchung angezeigt.
Der nächste Schritt in der Behandlungsfolge ist die langsame Wiedereinführung der "minimal notwendigen" Hautpflegeprodukte. Bei Frauen empfiehlt es sich, kosmetische Produkte mit geringem allergenen Potenzial nacheinander in der folgenden Reihenfolge einzuführen: Lippenstift, Gesichtspuder und Rouge. Empfehlenswert ist die Testung aller neu eingeführter Produkte. Praktisches Procedere: Auftragen des Produktes in fünf aufeinander folgenden Nächten auf einem 2 cm großen Bereich seitlich des Auges; das positive und/oder negative Ergebnis ist zu dokumentieren.
Hinweis(e)
Da empfindliche Haut häufig vorkommt und angesichts der aktuellen Entwicklung der weltweiten Verwendung von Kosmetika immer häufiger auftritt, müssen bessere Hautpflegeprodukte entwickelt werden. Die kontinuierliche Erforschung aktiver und sicherer Hautpflegeprodukte zur Vorbeugung und Behandlung empfindlicher Haut ist äußerst begrüßenswert (Wollenberg A et al. 2022).
Literatur
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