Post-Lyme-SyndromG93.3

Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024

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Synonym(e)

Borreliose-Nachbehandlungssyndrom; Lyme disease-Nachbehandlungssyndrom; Post-treatment Lyme disease syndrome; PTLDS

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Erstbeschreiber

Im Jahr 2006 wurde von der Infectious Disease Society of America (IDSA) eine Falldefinition für das Post-Lyme Disease Syndrome (PLDS) veröffentlicht, das heute allgemein als Post-Treatment Lyme Disease Syndrome (PTLDS) bezeichnet wird (Wormser GP et al. 2006). Diese Definition umfasst das Auftreten von Müdigkeit, generalisierten muskuloskelettalen Schmerzen oder Klagen über kognitive Beeinträchtigungen innerhalb von 6 Monaten nach einer nachgewiesenen B. burgdorferi-Infektion, das Fortbestehen der Symptome für ≥ 6 Monate (persistierend oder rezidivierend) nach einer adäquaten Antibiotikatherapie, die zu einem Verschwinden oder einer Stabilisierung der objektiven Manifestationen geführt hat, und dass die Symptome so schwerwiegend sind, dass sie, wenn sie vorliegen, zu einer erheblichen Einschränkung des vorherigen Niveaus der beruflichen, schulischen, sozialen oder persönlichen Aktivitäten führen.

Definition

Die Lyme-Borreliose (LB) ist eine wichtige durch Zecken übertragene Krankheit, die durch Spirochäten des Borrelia burgdorferi sensu lato (s.l.) Komplexes verursacht wird. Da die Spirochäten verschiedene Stellen des Körpers befallen können, kann sich die Krankheit mit einer Vielzahl klinischer Symptome manifestieren. Mit asymptomatischen Infektionen muss gerechnet werden (Steere AC et al. 2016; Stanek G et al. 2012). 

Die häufigste klinische Manifestation der Lyme-Borreliose ist das Erythema migrans (EM), eine frühe, lokalisierte Infektion, die mit grippeähnlichen Symptomen einhergehen kann. Unbehandelt kann sich eine frühe disseminierte Lyme-Borreliose (LB) oder eine späte Lyme-Borreliose entwickeln, die unter anderem durch multiple Erythema migrans (MEM), als Lyme-Neuroborreliose (LNB), Lyme-Arthritis (LA), Lyme-Karditis oder Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) gekennzeichnet ist (Steere AC et al. 2016; Stanek G et al. 2012).

Neben diesen objektiv erkennbaren Symptomen treten bei einer Untergruppe von Patienten trotz adäquater antibiotischer Therapie persistierende unspezifische Symptome auf, wie Müdigkeit, ubiquitäre diffuse Schmerzen des Bewegungsapparats oder kognitive Schwierigkeiten. Wenn diese Symptome länger als 6 Monate anhalten und zu einer Einschränkung der täglichen Aktivitäten führen, wird diese Symptomatik als Borreliose-Nachbehandlungssyndrom („Post-treatment Lyme disease syndrome“  bezeichnet - PTLDS). Von allen unspezifischen Symptomen wurde in versch. Kohorten von Lyme-Borreliosen-Patienten im Vergleich zu den Kontrollen ein höheres Risiko für Schmerzen und Müdigkeit festgestellt.

Einteilung

Klinische Symptome von PTLDS (gemäß der Definition der Infectious Disease Society of America):

  • Muskelschmerzen (> 1 Körperteil)
  • Gelenkschmerzen (> 1 Körperteil)
  • Müdigkeit, Gedächtnisprobleme (Vergesslichkeit)
  • Konzentrationsschwierigkeiten und Wortfindungsprobleme.
  • Wortfindungsprobleme
  • Weiterhin treten Auswirkungen auf die täglichen Aktivitäten auf.

Folgende unspezifische Symptome bei denen ein Zusammenhang mit PTLDS vermutet wird können mit zur Bewertung des PTLDS-Status herangezogen werden (Nemeth J et al. 2016):   

  • Kopfschmerzen
  • Gelenkeschwellungen
  • Parästhesien (z. B. Kribbeln)
  • Nachtschweiß (beim Aufwachen)
  • übermäßige Schlaf und Einschlafprobleme

Vorkommen/Epidemiologie

Der Anteil der Patienten mit PTLDS wird bei der akuten Borreliose (Patienten mit Erythema chronicum migrans) auf 5,9 % und bei Patienten mit disseminierter/später Lyme-Borreliose auf 20,9 %  geschätzt (Geebelen L et al. 2022; Aucott JN et al. 2013).

Ätiopathogenese

Bislang ist die Ursache des PTLDS noch unbekannt. Eine der Hypothesen ist, dass es sich um ein postinfektiöses Syndrom handelt, wie es bei anderen Infektionskrankheiten wie Epstein-Barr-Virus-Infektionen, Q-Fieber und COVID-19 beobachtet wird (Hickie I et al. 2006; Lancet T 2020).

Ein Autoimmunprozess konnte bisher nicht belegt werden.

Angesichts der negativen bzw. allenfalls marginalen Effekte wiederholter Antibiotikagaben (vgl. Therapie) ist eine chronisch persistierende  Infektion unwahrscheinlich. Diese Annahme wird durch folgende Argumente weiter gestützt: keine begleitenden objektiven klinischen  Krankheitsund/oder Entzündungszeichen mit Progression, Persistenz der Symptomatik unabhängig von einer positiven Borrelienserologie, kein Erregernachweis mittels Kultur und/oder PCR, keine nachgewiesenen Resistenzen vonBorrelia burgdorferi sensu lato gegen die üblicherweise eingesetzten Antibiotika.

Letztlich lässt sich wegen uneinheitlicher Datenlage das sogenannte PTLDS noch nicht als Krankheitsentität definieren.

 

Therapie

Mehrere randomisierte, kontrollierte Behandlungsstudien haben keine ausreichenden Belege für den Nutzen einer verlängerten Antibiotikabehandlung bei Patienten mit anhaltenden Symptomen erbracht (Klempner MS et al. 2001; Berendes A et al. 2016).

Für andere Arten von Symptomen, wie z. B. Gelenkschmerzen, wird eine symptomatische Therapie mit NSAIDs empfohlen. Optimale Ansätze für die symptomatische Behandlung wurden jedoch nicht definiert, da systematische Studien - mit Ausnahme von Studien zur Bewertung der Wiederbehandlung mit Antibiotika - bei diesen Patienten selten sind oder ganz fehlen.

In Anlehnung an Behandlungsstudien zur Fibromyalgie wurden auch multidisziplinäre Ansätze befürwortet, bei denen Medikamente wie Gabapentin oder Amitriptylin mit nicht-pharmakologischen Therapien, z. B. kognitiver Verhaltenstherapie, Akupunktur oder Massage, kombiniert werden (Steere AC et al. 2015).  

Hinweis(e)

Auswirkungen auf die täglichen Aktivitäten: Um sich einen Überblick über die üblichen Aktivitäten zu verschaffen kann ein standardisierter EQ-5D-5L-Fragebogen genutzt werden.

Fallbericht(e)

Eine 60-jährige, wanderfreudige, sportive Frau stellte sich mit für sie ungewohntem Schwindel, mit allgemeiner Muskelsteifigkeit, hin und wieder Schüttelfrost, auch Kopfschmerzen mit Übelkeit, nächtlichem Schwitzen und auffälligen Schlaf- und Einschlafstörungen vor. Sie erhielt wegen dieser Symptome seit einiger Zeit 10mg Diazepam, das nun reduziert werden sollte. Bei einem weiteren Kontakt einen Monat später klagte sie immer noch über Schwindel und „Schockgefühle“ im Kopf, sie sei bewegungssteif, Bewegungen allgemein schmerzhaft. Eine UAW wurde in Betracht gezogen. Screening-Blutuntersuchungen (Blutbild, Hämoglobin, Thrombozyten, C-reaktives Protein (CRP), Kreatinin, Kreatinkinase (CK), Leberenzyme, Elektrolyte wurden mit normalen Ergebnissen durchgeführt. Bei einer Konsultation vier Monate später erwähnte sie, dass ihr rechter Fuß so stark angeschwollen sei, dass sie eine ganze Schuhgröße größer tragen müsse. Schwindel, Körpersteifigkeit und dumpfe Kopfschmerzen bestanden weiterhin. Außerdem berichtete sie über „gelegentliches Herzklopfen“, Erschöpfung/Müdigkeit, Schmerzen unter der Fußsohle, so dass sie „keine Lust auf Sport und Wandern mehr habe“.

Befund: Diffuse Schwellung über den dorsalen Teil des rechten Fußes und der Zehen bis knapp über den Knöchel. Die Haut war hyperästhetisch, rötlich-bläuliche verfärbt, knittrig und glänzend. Die vom Hausarzt durchgeführte Sonographie ergab einen normalen Befund der Sehnen und Gelenke an Knöchel und Fuß. Neue Screening-Bluttests einschließlich der Schilddrüsenhormone sowie rheumatologischer Tests zeigten keine Auffälligkeiten. Eine Stanzbiopsie der Haut ergab interstitielle lympho-plasmazellige Infiltrate (CD68 positiv), mit etwas verdickten und homogenisierten Kollagenbündeln, sowie einem bandartigen Infiltrat aus CD4 positiven T-Lymphozyten. Stellenweise vakuolige Degeneration der Basalzellschicht. Keine Interface-Dermatitis. Der PCR-Test der Biopsie war positiv für Borrelia burgdorferi sensu lato. Serologie: Nachweis von mehreren Banden von IgG-Antikörpern. Die ergänzend durchgeführte Liquoruntersuchung ergab keine Hinweise auf eine Infektion/Entzündung oder eine intrathekale Produktion von Borrelien-spezifischen Antikörpern. Gemäß den geltenden Leitlinien wurde  eine Behandlung mit Doxycyclin (200 mg täglich) über 3 Wochen durchgeführt. Fast ein Jahr nach Beginn der Symptome und etwa 6 Monate nach Ende der Behandlung litt die Patientin immer noch unter Kopfschmerzen, Erschöpfungszuständen, Müdigkeit, Gedächtnisprobleme (Vergesslichkeit), Konzentrationsschwierigkeiten, Wortfindungsprobleme, kribbelnden Parästhesien, Einschlafproblemen und Nachtschweiß. Der rechte Fuß war immer noch etwas größer als der linke. Sie trug im linken Schuh dickere Socken, um ihn besser abzufedern. 

Die Diagnose lautet nun:  Zustand nach Acrodermatitis chronica atrophicans. Post-Lyme-Disease Syndrom.

Therapie: Kognitive Verhaltenstherapie, Akupunktur und Massagen. Vorgesehen ist ein Versucht mit Amitriptylin.

Literatur

  1. Bechtold KT et al. (2017) Standardized symptom measurement of individuals with early Lyme disease over time. Arch Clin Neuropsychol 32:129–141.
  2. Berende A et al. (2016) Randomized trial of longer-term therapy for symptoms attributed to Lyme disease. Engl J Med doi: 10.1056/NEJMoa1505425.
  3. Bonderup OK et al. (2021) Acrodermatitis chronica atrophicans. Ugeskr Laeger 183:V71084.
  4. Dersch R et al. (2016) Prevalence and spectrum of residual symptoms in Lyme neuroborreliosis after pharmacological treatment: a systematic review. J Neurol 263:17–24.
  5. Geebelen L et al. (2019) Combining primary care surveillance and a meta-analysis to estimate the incidence of the clinical manifestations of Lyme borreliosis in Belgium, 2015–2017. Ticks Tick-Borne Dis 10:598–605.
  6. Geebelen L et al. (2022) Lyme borreliosis in Belgium: a cost-of-illness analysis. BMC Public Health. 22:2194
  7. Geebelen L et al. (2022) Non-specific symptoms and post-treatment Lyme disease syndrome in patients with Lyme borreliosis: a prospective cohort study in Belgium (2016-2020). BMC Infect Dis 22:756.
  8. Hickie I et al. (2006) Post-infective and chronic fatigue syndromes precipitated by viral and non-viral pathogens: prospective cohort study. BMJ 333:575.
  9. Klempner MS et al. (2001) Two controlled trials of antibiotic treatment in patients with persistent symptoms and a history of Lyme disease. N Engl J Med 345:85–92.
  10. Koedel U et al. (2015) Lyme neuroborreliosis-epidemiology, diagnosis and management. Nat Rev Neurol 11:446–456.
  11. Lancet T (2020) Facing up to long COVID. Lancet 396:1861.
  12. Nemeth J et al. (2016) Update of the Swiss guidelines on post-treatment Lyme disease syndrome. Swiss Med Wkly 146:w14353.
  13. Stanek G et al. (2012) Lyme borreliosis. Lancet 379:461–473.
  14. Steere AC et al. (2016) Lyme borreliosis. Nat Rev Dis Primer 2:1–19.
  15. Steere AC et al. (2015) Editorial commentary: what constitutes appropriate treatment of post-Lyme disease symptoms and other pain and fatigue syndromes? Clin Infect Dis 60:1783–1785.
  16. Vrijmoeth HD et al. (2023) Determinants of persistent symptoms after treatment for Lyme borreliosis: a prospective observational cohort study. EBioMedicine 98:104825.
  17. Wormser GP et al. (2006) The clinical assessment, treatment, and prevention of Lyme disease, human granulocytic anaplasmosis, and babesiosis: clinical practice guidelines by the Infectious Diseases Society of America. Clin Infect Dis 43:1089–1134.

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