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OnychophagieF98.8
Synonym(e)
Definition
Onychophagie (von "onychos" Nagel und "phagein" essen) bezeichnet eine autoaggressive Angewohnheit; die Betroffenen können nicht angemessen mit Stress und Anspannung umgehen. Seltener wird die Onychophagie durch eine tiefergreifende neurotische Störung ausgelöst.
Ätiopathogenese
Besonders prädisponiert sind Heranwachsende die motorisch eingeengt und/oder emotional allein gelassen werden und damit ein spannungsbezogenes aggressives Verhalten oder sonstige Gefühle nicht ausleben können. So gilt das Nägelkauen als nicht angemessene (inadäquate) Affektabfuhr oder auch als Ersatzbefriedigung. Wie alle Verhaltensweisen kann auch Onychophagie im Rahmen des Modelllernens erlernt und im Umkehrschluss auch wieder „verlernt“ werden.
Manifestation
V.a. Kinder und Jugendliche; Auftreten meist erst nach dem 4. Lebensjahr; 10-30% der 7-10-Jährigen sind betroffen (Halteh P et al. 2017).
Klinisches Bild
Was zunächst als harmlose lustvolle orale Beschäftigung beginnt, kann auf Dauer zur ritualisierten Handlung in Stresssituationen werden.
Meist werden alle 10 Fingernägel kurzgehalten. Bei etwa 10% der Fälle wird ein Nagel ausgespart oder es sind nur einzelne Finger betroffen. Extrem selten ist das Kauen von Zehennägel.
Oft werden die Nägel bis zum Nagelbett abgekaut. Nicht selten wird auch die Haut der Fingerkuppen und des Nagelfalzes abgebissen. Durch das ständige Nagelkauen verkürzt sich die Nagelplatte. Die meisten Nagelkauer reißen mit der anderen Hand freistehende Nagelenden ab.
Komplikativ kann es zu schmerzhaften Einrissen der Fingerkuppen und der Nagelfalze kommen, zu bakteriellen Superinfektionen und zu breiter Deformierung der Endphalanx kommen. Dies führt zu Paronychien und dauerhaft zu Verwerfungen der Nagelplatte (Onychodystrophie).
REgelmäßig werden die Nägel auf ihre Länge untersucht. Dies geschieht 10-30x pro Tag. Gelegentlich wird auch an anderen Gegenständen gekaut (Radiergummi, Bleistifte). Bei Kindern kann Nägelkauen mit einer Trichotillomanie kombiniert sein.
Komplikation(en)
Bei übermäßig starkem Fingernägelkauen, bei dem auch die Nagelhaut verletzt wird, kann es sich auch um eine psychische Störung mit Neigung zu Selbstverletzungen (Autoaggression) handeln.
In geschädigten Bereichen ist beim Menschen die Ausbreitung von vulgären Warzen begünstigt.
Therapie
Kinder sollten fürs Nägelkauen in keiner Weise „bestraft“ werden. Wichtiger ist es die Ursachen zu finden und für Entspannung zu sorgen. Bei jüngeren Kindern kann eine Spieltherapie eingesetzt werden, bei älteren Kindern und Erwachsenen kommt Verhaltenstherapie zum Einsatz.
Folgende Empfehlungen sind hilfreich:
Führen eines Tagebuches in dem aufgeführt wird in welchen Situationen das Nägelkauen (verstärkt) auftritt. Meist sind dies Situationen mit erhöhter Anspannung oder Leistungsanforderung (etwa in der Schule).
Verhaltenstherapeuten raten zum „Habit Reversal Training“, zu einer Reaktionsumkehr die folgenden Procedere umfasst:
Beobachtung Herausfinden, wann gekaut wird und warum. Die Ergebnisse sollten notiert werden.
Motivation: Es sollte stets klargelegt werden, warum es lohnt, mit dem Nägelkauen aufzuhören.
Ersatzhandlung: Einüben einer konkurrierenden Verhaltensweise, die konträr zum Akt des Nägelkauens steht: z.B. Faust ballen, alternativ: sich auf die Hände setzen
Tägliche Rituale: Tägliche „rituelle“ Nagelpflege. Sie soll schließlich in den kritischen Situationen den Faustschluss bei Anspannung ersetzen (sofern dies in dem betreffenden sozialen Umfeld gerade möglich ist).
Kontrolle: Tägliches sorgfältiges Überprüfen des Zustandes der Nägel.
Festigung: die Ersatzhandlung wird nach einiger Zeit nicht nur in den Momenten ausgeübt, in denen Sie den Drang zum Nägelkauen verspürt, sondern auch zwischendurch.
Externe Therapie
Eine lokale Therapie sollte bei Entzündungen mit desinfizierenden Lösungen oder Salben durchgeführt werden. Die betroffenen Nägel können mit Pflastern abgedeckt werden. Zur Verhinderung des „genüsslichen“ Kauens kann das Auftragen von Nageltinkturen die Bitterstoffe enthalten hilfreich sein.
Verlauf/Prognose
Der Grundstein dazu wird oft im Kleinkind- oder Kindergartenalter gelegt, wenn die orale Fixierung noch sehr groß ist. „Diente zuvor das Lutschen am Daumen als Mittel zum Spannungsabbau, entdecken viele nun das Nägelkauen als Alternative“.
In vielen Fällen ist das Nagelkauen eine harmlose und zeitbegrenzte Angewohnheit, die sich von alleine wieder legt. Wichtig ist, dass Eltern dieser passageren Angewohnheit mit Gelassenheit begegnen.
Literatur
- Halteh P et al. (2017) Onychophagia: A nail-biting conundrum for physicians. J Dermatolog Treat 28:166-172.
- Sun D et al. (2019) Auricular Acupressure Improves Habit Reversal Treatment for Nail Biting. J Altern Complement Med 25:79-85.