Shigella

Autor:Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024

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Synonym(e)

Bakterielle Ruhr; Shigellen; Shigellen-Dysenterie; Shigellenruhr; Shigellen-Ruhr; Shigellose

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Erstbeschreiber

Benannt nach dem japanischen Bakteriologen Shiga, der 1898 den Erreger der bakteriellen Ruhr nachwies, 2 Jahre bevor dies dem Deutschen Kruse unabhängig von ihm gelang.   

Definition

Shigellen, die Erreger der Shigellose (Shigellenruhr, Shigellen-Dysenterie) sind unbewegliche  (ohne Geißeln), sporenlose,  gramnegative Stäbchenbakterien der Familie der Enterobacteriaceae, Gattung Shigella. Shigellen können weder Laktose vergären  noch Citrat oder Harnstoff verwerten. Sie sind relativ säurestabil (damit können sie die Magenpassage überstehen).Es besteht eine enge Verwandtschaft zu Escherichia coli. Alle Shigellen bilden ein aus Lipopolysacchariden bestehendes Endotoxin, welches für die entzündliche Reizung der Darmschleimhaut verantwortlich ist. Nur Shigella dysenteriae 1 bildet zusätzlich ein Exotoxin (Shiga-Toxin), das zu schweren Krankheitsbildern mit Beteiligung des ZNS führen kann.

Einteilung

Shigellen werden nach biochemischen Merkmalen und spezifischen O-Antigenen in folgende Serogruppen mit jeweils mehreren Serovaren unterteilt:

  • Gruppe A: Shigella dysenteriae:  Erreger der gefürchteten Shiga-Kruse-Ruhr, die meist in den tropischen Regionen auftritt. Bekannt sind 13 Serovare.
  • Gruppe B: Shigella flexneri: Erreger der Flexner-Ruhr die v.a. im Mitteleuropa vorkommt; >10 Serovare
  • Gruppe C: Shigella boydii: Vorkommen in tropischen Ländern; 20 Serovare
  • Gruppe D: Shigella sonnei: Erreger der relativ harmlosen Sommer- oder E-Ruhr. Vorkommen in Mitteleuropa. 1 Serovar.  

Vorkommen

Shigellen treten als Krankheitserreger weltweit auf. Alle Shigellen sind humanpathogen und verursachen die bakterielle Ruhr oder Dysenterie. Sie ist eine Erkrankung der Not- und Krisenzeiten und eine Seuche der Unhygiene.

Die Infektion zeigt eine charakteristische Häufung in warmen Monaten. In Deutschland sind hauptsächlich Infektionen durch S. sonnei (Anteil gegenwärtig etwa 70%) und S. flexneri (Anteil gegenwärtig etwa 20%) von Bedeutung. Diese beiden Spezies führen überwiegend zu leichteren Erkrankungen, die aber hochakut beginnen und sehr infektiös sein können.

Pathophysiologie

Die Erreger dringen in die Darmepithelien des terminalen Ileums und des Kolons ein. Shigellen können die Enterozyten nicht von der Lumenseiten durchdringen. Sie nutzen die M-Zellen der Peyer-Plaques als Invasionspforte. Von da aus können sie von hinten in die Epithelzellen eindringen. Sie wandern von da aus von Zelle zu Zelle weiter. Durch intrazelluläre Vermerhung kommt es zur Schädigung der Enterozyten und zu fokalen Nekrosen. Damit ist die weitere Ausbreitung der Infektion gewährleistet. Damrulzerationen mit Blutungen und Tenesmen sind typische Merkmale der Shigellen-Infektion. Das Shigatoxin sowie Verotoxine haben zyto-,entero- und neurotoxisches  Potenzial. Sie sind auch bei anderen Enterobactericae von Bedeutung.     

Manifestation

Häufig betroffen sind Kinder und junge Erwachsene (Altersgruppe 20-39 Jahre).

Reservoir: Der Mensch ist das einzige relevante Reservoir für Shigellen.

Infektionsweg: Die Übertragung erfolgt fäkal-oral durch Kontakt- oder Schmierinfektion im Rahmen enger Personenkontakte, z.B. im Kindergarten oder im gemeinsamen Haushalt, oder durch kontaminierte Lebensmittel, Wasser oder Gebrauchsgegenstände. Die Infektionsdosis ist sehr klein <100 Bakterien. Auch bei Sexualkontakten ist eine fäkal-orale Übertragung möglich, zum Beispiel bei oro-analen Sexualpraktiken. Bekannt sind Shigellose-Ausbrüchen unter Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Bei Reisen in Länder mit niedrigeren Hygienestandards kann eine direkte Übertragung über mit Fäkalien verunreinigtes Trinkwasser oder Badegewässer von Bedeutung sein. Die Krankheitserreger können auch durch Fliegen übertragen werden, z.B. von Fäkalien auf nicht abgedeckte Lebensmittel. In Deutschland ist die Zahl der Erkrankungen mit ca. 400 Fällen verhältnismäßig klein. Davon werden nur 40% in Deutschland erworben (Hof H et al. 2019). Die restlichen Fälle sind importiert.

Inkubationszeit: Die Inkubationszeit beträgt i.A. 12–96 Stunden.

Dauer der Ansteckungsfähigkeit: Eine Ansteckungsfähigkeit besteht während der akuten Infektion und solange der Erreger mit dem Stuhl ausgeschieden wird (etwa 1–4 Wochen nach der akuten Krankheitsphase). Eine Ausscheidung über einen längeren Zeitraum ist sehr selten.

Riskopopulationen:

  • Kinder < 5 Jahren sind am ehesten von einer Shigellen-Infektion betroffen.
  • Personen die in Gruppenunterkünften leben oder an Gruppenaktivitäten teilnehmen.
  • Leben in Gegenden, in denen es an sanitären Einrichtungen mangelt. Menschen, die in Entwicklungsländern leben oder reisen, haben ein höheres Risiko, sich mit Shigellen zu infizieren. 
  • Die Mehrzahl der Shigellosen wird von Reisenden importiert (etwa 60-70% der Fälle – Mitteilung RKI). Importierte Shigellosen werden häufig in Ägypten, Indien und Marokko erworben (Mitteilung RKI).
  • Männer, die Sex mit Männern haben, haben ein höheres Risiko für eine Shigellen-Infektion aufgrund von direktem oder indirektem oral-analen Kontakt während der sexuellen Aktivität.

Klinisches Bild

Shigellen-Ruhr (A03.9): Nach oraler Aufnahme erfolgt eine Invasion in die Kolonmukosa. Die Erkrankung beginnt meist als wässrige Diarrhö und kann in eine inflammatorische Kolitis übergehen. Die Krankheit variiert zwischen leichten Verlaufsformen mit geringer wässriger Diarrhö und schweren Erkrankungen mit Fieber, blutiger und eitriger Diarrhö. Vor allem Patienten mit Immunsuppression (u.a. auch HIV) oder ältere Patienten bzw. mangelernährte Kinder sind häufiger von schweren bis fulminanten Verläufen betroffen. Das Auftreten blutig-schleimiger Stühle entspricht dem klinischen Bild der ›Ruhr‹ (daher die Bezeichnungen „Shigellenruhr oder Bakterienruhr“). Abdominelle Krämpfe (Koliken und Tenesmen) sind typisch für eine Shigellose. Im weiteren Verlauf kann es zu fokalen Ulzerationen, vorwiegend im distalen Kolon. Komplikationen sind Kolondilatation und Kolonperforationen. Weitere mögliche Folgen: Dehydratation und Proteinverluste. Die Infektion bleibt in der Regel auf das Kolon beschränkt.  Seltene extraintestinale Komplikationen sind:

Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS); wird verursacht durch das Shigatoxin (dies wird v.a. S. dysenteriae Serovar 1 gebildet)

Reiter-Syndrom: Als immunpathologische Nachkrankheit kann sich ein Reiter-Syndrom entwickeln.

Diagnostik

Klinisch bzw. klinisch-epidemiologisch kann nur eine Verdachtsdiagnose gestellt werden. Sicherung der Diagnose durch eine bakteriologische Untersuchung.  Als Untersuchungsmaterial eignen sich frische Stuhlproben oder frisch entnommene Rektalabstriche in einem Transportmedium (Hinweis: Shigellen v. S.dysenterica sterben in der Umwelt relativ schnell ab. Sie müssen rasch verarbeitet werden!)

Der Aufdeckung von Infektionsquellen und der Klärung von Infektionswegen dient zunächst die Bestimmung der Spezies und ggf. des Serovars. Im Nationalen Referenzzentrum für Salmonellen und andere bakterielle Enteritiserreger kann eine weitere Erregertypisierung vorgenommen werden (z.B. durch molekularbiologische Charakterisierung mit core genome Multilocus-Sequenztypisierung; cg MLST) (Angaben des RKI).

Von Patienten werden bei der Erkrankung nur geringe Antikörper gebildet (Fehlen der sehr immunogen H-Antigenen). Serologische Untersuchungen sind somit nicht angezeigt.

Therapie

Bei der Shigellose wird aufgrund der hohen Infektiosität und der gelegentlich sehr schweren Krankheitsverläufe gemäß der S2k-Leitlinie „Gastrointestinale Infektionen und Morbus Whipple“ eine Antibiotikabehandlung generell empfohlen. Die Bakterienausscheidung wird hierdurch reduziert und die Krankheitsdauer verkürzt. Chinolone und Azithromycin sind Mittel der Wahl (S2k-Leitlinie). Wichtig: Aufgrund der zunehmenden Resistenzproblematik bei Shigellen sollte die Therapie nach Durchführung einer Resistenztestung erfolgen. Vor allem Isolate von Reiserückkehrern aus Asien und Afrika und von MSM können vermehrte Resistenzen zeigen.

Bei Patienten in gutem Allgemeinzustand kann auch eine symptomatische Therapie mit oralem Flüssigkeitsersatz ausreichend sein. Bei Patienten mit chronischen Grundkrankheiten und bei sehr jungen sowie alten Patienten müssen Flüssigkeits- und Elektrolytverluste parenteral ausgeglichen werden. Motilitätshemmer sollten zur Behandlung nicht eingesetzt werden.

Therapie allgemein

Nach Überstehen der Ruhr existiert vorübergehnd eine mäßige Immunität. In Deutschland steht derzeit kein Impfstoff zur Verfügung.  Die Huaptmaßnahme zur Verhütung dieser Infektion sind expositionsprophylaktischer Natur (s.u. Shigellosen Infektionsschutz und Hygienemaßnahmen).

Hinweis(e)

Die Ruhr ist eine Infektion des Kolons. Sie kann durch Shigellen (Bakterien) oder durch Amöben (Protozoen) hervorgerufen werden.

Meldepflicht gemäß IfSG: Dem Gesundheitsamt wird gemäß § 7 Abs. 1 IfSG der direkte oder indirekte Nachweis von Shigella sp., soweit er auf eine akute Infektion hinweist, namentlich gemeldet.

Des Weiteren ist gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 IfSG der Verdacht auf und die Erkrankung an einer akuten infektiösen Gastroenteritis meldepflichtig, wenn die betroffene Person Umgang mit Lebensmitteln hat oder in Einrichtungen zur Gemeinschaftsverpflegung (z.B. Küchen, Gaststätten) beschäftigt ist (siehe Maßnahmen für Patienten und Kontaktpersonen), oder wenn zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird.

Die Meldungen müssen dem Gesundheitsamt spätestens 24 Stunden nach erlangter Kenntnis vorliegen. In § 8 IfSG werden die zur Meldung verpflichteten Personen benannt . In § 9 IfSG ist festgelegt, welche Angaben die namentliche Meldung an das Gesundheitsamt enthalten darf.

Benachrichtigungspflicht gemäß IfSG: Leiterinnen und Leiter von Gemeinschaftseinrichtungen haben gemäß § 34 Abs. 6 IfSG das zuständige Gesundheitsamt unverzüglich zu benachrichtigen, wenn in ihrer Einrichtung betreute oder betreuende Personen an Shigellose erkrankt oder dessen verdächtig sind, wenn in ihrer Einrichtung betreute oder betreuende Personen Shigella sp. ausscheiden oderwenn in den Wohngemeinschaften der in ihrer Einrichtung betreuten oder betreuenden Personen nach ärztlichem Urteil eine Erkrankung an oder ein Verdacht auf Shigellose aufgetreten ist.

Übermittlung: Das Gesundheitsamt übermittelt gemäß § 11 Abs. 1 IfSG an die zuständige Landesbehörde nur Erkrankungs- oder Todesfälle und Erregernachweise, die der Falldefinition gemäß § 11 Abs. 2 IfSG entsprechen.

Shigellosen Infektionsschutz und Hygienemaßnahmen s. dort.

Literatur

  1. Leitlinien DGVS Gi-Infektionen: s.u.  https://www.dgvs.de/wissen/leitlinien/leitlinien-dgvs/gi-infektionen/
  2. Hof H et al. (2019) Shigella.  In: Hof H, Schlüter D, Dörries R, Hrsg. Duale Reihe Medizinische Mikrobiologie. 7., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Thieme S 407-410
  3. Raspe M et al. (2016) Shigellose (Shigellenruhr, bakterielle Ruhr). In: Suttorp N, Möckel M, Siegmund B et al., Hrsg. Harrisons Innere Medizin. 19. Auflage. Berlin: ABW Wissenschaftsverlag; 2016.
  4. RKI-Ratgeber - Shigellose – RKI
  5. RKI: Reiseassoziierte Infektionskrankheiten 2017. Epid Bull 2018; 44:469
  6. RKI: Shigellose: Gehäuftes Auftreten bei Männern in Berlin im Jahr 2004. Epid Bull 2005; 8:59-63

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