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SGLT2 Inhibitoren
Synonym(e)
Definition
SGLT-2-Inhibitoren (SGLT2i) wurden als neuartige orale Antidiabetika zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 (Typ 2 DM) entwickelt und erstmals im Jahr 2012 durch die EMA in der Europäischen Union (DAZ online 2012) und 2013 erstmals in USA zugelassen. Sie basieren auf einem neuen Wirkprinzip, das die Blutglukosekontrolle unabhängig von der Insulinwirkung ermöglicht und eröffnet damit einen neuen Therapieansatz in der Diabetestherapie.
SGLT2i sind daneben die ersten modernen oralen Antidiabetika mit nachgewiesener Wirksamkeit für die kardiovasuläre Risikoreduktion bei Patienten mit Typ 2 DM (Zinman B et.al. 2015). Ein Ergebnis, das bis dahin auch bei strenger Blutglukoseeinstellung (HbA1c ≤6%) mit anderen antidiabetisch wirksamen Medikamenten nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte (Duckworth et. al. 2009, The ACCORD Study Group 2008, The ACCORD Study Group 2016). Aufgrund der zusätzlichen vorteilhaften Wirkungen auf die Progression, Prognose, Hospitalisierungsrate und Lebensqualität bei chronischen Herz- und Nierenerkrankungen in mehreren wegweisenden klinischen Studien hat sich seitdem der Anwendungsbereich dieser Substanzen auch über die Diabetesbehandlung hinaus stark erweitert und erstreckt sich nun auch auf die Behandlung kardiovaskulärer und renaler Erkrankungen auch ohne Vorliegen eines Typ 2 DM (kardiorenales Syndrom, chronische Niereneninsuffizienz CKD und alle Formen der Herzinsuffizienz HF unabhängig von der Ejektionsfraktion).
Und auch jenseits davon ergeben sich derzeit potetiell weitere neue vorteilhafte Wirkungen als Bestandteil für die Behandlungsmöglichkeiten z.B bei Adipositas (van Ruiten CC et.al. 2022), Metabolischem Syndrom, Behandlung der Nicht-alkoholischen metabolischen Fettleber (NASH) bzw. Metabolisch assoziierte Steatohepatitis (MASH).
Gegenstand der Forschung ist die Frage nach der Bedeutung von SGLT-2-Inhibitoren für die Prävention und Behandlung neurovaskulärer und neurodegenerativer Erkrankungen (Pawlos A et.al. 2021) wie:
- Schlaganfall (Tsai W-H et. al. 2021, Chang S-N et. al. 2023)
- Morbus Parkinson (Kim HK et.al. 2024)
- kognitive Dysfunktion (Rizzo MR et. al. 2022, Shourav MI et.al. 2024)
- Demenzerkrankungen (Srijanth V et.al. 2020, Esterline R et. al. 2020).
Der starke Zusammenhang zwischen Typ 2 DM und dem Risiko des Auftretens dieser Erkrankungen sowie die vermuteten pleiotropen Effekte der SGLT2i legen eine mögliche Wirksamkeit nahe. Weitere Anwendungsgebiete könnten sich in der Zukunft für diese Substanzklasse insbesondere im Bereich der Neurologie ergeben.
Pharmakodynamik (Wirkung)
SGLT2i beruhen auf einem neuen Wirkprinzip, das sich grundsätzlich von Insulin und anderen oralen Antidiabetika unterscheidet. SGLT2i basieren auf der selektiven reversiblen Hemmung des natriumabhängigen Glukosetransporters SGLT-2 (Natrium-Glukose-Co-Transpoter 2) im proximalen Tubulus der Niere. Dies führt zu vermehrter Ausscheidung von Glukose (Glukosurie) und, da auch der Cotransport von Natrium gehemmt wird, auch zur vermehrten Ausscheidung von Natrium im Urin (Natriurese). Die Hemmung ist selektiv für den SGLT-2-Transporter. Der SGLT-1-Transporter wird nicht gehemmt. Die Hemmung des SGLT2 ist jedoch nicht vollständig und wird daneben teilweise durch den SGLT-1 Transporter weiter distal im Tubulus der Niere kompensiert. Daher kommt es nicht zur Hypoglykämie oder Elektrolytverschiebungen.
Im proximalen Tubulus der Niere werden physiologisch über 90% der zuvor filtrierten Glukose von SGLT-2 und die verbleibenden 10% von SGLT-1, der sich etwas weiter distal befindet, zurückresorbiert. Bei gesunden Menschen wird daher unter normalen Bedingungen keine Glukose mit dem Urin ausgeschieden. Erst bei Überschreiten der Nierenschwelle bei erhöhten Blutglukosewerten von durchschnittlich mehr als 180mg/dl bzw.10mmol/l kommt es zur Auscheidung von Glukose im Urin.
Die Hemmung des SGLT-2 führt zur vermehrten Ausscheidung von Glukose im Urin und hierdurch zur Senkung des Blutglukosepiegels und Reduktion des HbA1c. In Anhängigkeit von der Höhe der Ausgangswertes kann variabel ca 50-80 g Glukose pro Tag über diesen Mechanismus ausgeschieden und HbA1c variabel 0.6-0.9% gesenkt werden (abhängig von Blutglukosekonzentration und GRF) (Ferranini E. 2016).
Da Glukose ausgeschieden und nicht wie bei Insulinwirkung in die Zelle eingeschleust und verstoffwechselt wird, kann daneben auch ein Gewichtsverlust bewirkt werden. Demgegenüber führen Antidiabetika die auf Insulinwirkung basieren oder die Sezernierung und Wirkung von Insulin unterstützen oder verstärken (insolinotrope Substanzen, z.B. Sulfonylharnstoffe) meist zu Gewichstszunahme.
Der tägliche Kalorienverlust durch Glukosurie beträgt ungefähr 250-400 kcal, der durchschnittliche Gewichtsverlust ca. 2-4 kg über 12 Monate (Ferranini E. 2016). Es kommt durch SGLT2i ausschließlich zur vermehrten Ausscheidung von Glukose, die Glukoseaufnahme wird nicht gehemmt! Reaktiv vermehrte Glukosezufuhr mit der Nahrung begrenzt daher vermutlich den Effekt in Hinblick auf Gewichtsverlust.
Die Wirkung von SGLT2i ist unhabhängig von der Wirkung des Insulins und bewirkt daher auch eine Senkung der Blutglucose bei Insulinresistenz. Es ist außerdem davon auszugehen, dass mit dem Blutglukosespiegel auch der Insulinspiegel gesenkt und die Glukagonwirkung verstärkt wird. SGLT2i wirken daher einer Insulinrestistenz und den negativen Effekten hoher Insulinspiegel entgegen. Aufgrund der positiven Wirkungen auf Insulinresistenz und Gewicht eignen sie sich daher besser als Insulin, auch als Bestandteil einer Therapie bei Menschen, die an metabolischem Syndrom und Adipositas leiden (wenn Lebensstilveränderungen und Metformin alleine nicht zu der erwünschten Blutzuckersenkung führen).
Im Gegensatz zur Blutglukosesenkung mit Insulin oder Medikamenten die über den Insulinmechanismus wirken, besteht nicht die Gefahr einer Hypoglykämie. SGLT2i können daher mit anderen Antidiabetika (insbesondere mit Metformin) gut kombiniert werden, ohne das Risiko für Hypoglykämien zu erhöhen. Bei Kombination mit Insulin und anderen insulinotropen Substanzen besteht jedoch weiterhin die Gefahr von Hypoglykämien (es läßt sich jedoch durch eine Kombination mit SGLT2i zumindest eine Dosisreduktion von Insulin und daher eine Verringerung des Hypoglykämierisikos erreichen).
Aus der direkten Wirkung auf den Blutzuckerspiegel resultiert der Einsatz als antidiabetische Substanz in der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2. SGLT2i wurden zunächst ausschliesslich für die Behandlung des Diabetes Typ 2 zugelassen.
SGLT2i blockieren neben der Glukoserückresorption auch den Rücktransport von Natrium (Kotransport von Natrium) und führen daher zusätzlich zu einer vermehrten Natriumausscheidung (Natriurese) im Urin. Natriurese zusammen mit osmotischer Diurese aufgrund der Glucosurie führen auch zu einer Senkung des intravaskulären Blutvolumens, des Blutdruckes und Verminderung der Volumenbelastung (Vorlast und Nachlast) am Herzen. Dies erklärt zumindest teilweise den positiven Effekt, den SGLT2i auf das Herz haben. Es kann aufgrund dieses Effektes mit SGLT2i eine Blutdrucksenkung um ca. 4-6 mmHg erreicht werden (bei starkem arteriellen Hypertonus auch mehr) (Ferranini E. 2016). Bei Patienten mit vorbestehender Micro- und Macroalbuminurie kann außerdem die Albuminausscheidung um 30-40% gesenkt werden (Ferranini E. 2016). Im Zusammenhang mit diesen Effekten steht vermutlich auch die nephroprotektive Wirkung der SGLT2i, die u.a. auf eine veränderte Hämodynamik am Nephron mit Vasokonstriktion der afferenten Arteriolen, Vasosodilatation der efferenten Arteriolen, Verringerung des glomerulären Filtrationsdruckes (Verbesserung bzw. Wiederherstellung des tubuloglomeruläres Feedback, TGF) und Abnahme der Hyperfiltration zurückgeführt wird (Ferranini E. 2016). Dies kann zu Beginn der Therapie mit SGLT2i auch zu einer reversiblen Abnahme der GFR führen, die in Grenzen als Teil dieser nephroprotektiven Effekte und nicht als Zeichen einer Verschlechterung der Nierenfunktion anzusehen ist.
Dabeben gibt es eine Anzahl von Effekten, die sich nicht durch die direkte Wirkung der SGLT2i auf den Blutglukosespiegel oder die langfristige Verbesserung der Blutglukose erklären lassen, da diese Effekte unabhängig vom Vorliegen eines Typ 2 DM und bereits kurze Zeit nach Therapiebeginn erkennbar sind. Diese pleiotropen Effekte sind derzeit Gegenstand intensiver Forschung. Hierzu zählen u.a. verringerte Insulin- und stärkere Glukagonwirkung, Verschiebung von anaboler zu kataboler Stoffwechsellage, verbesserte Fettsäureoxidation, Verbesserung der Mitochondrienfunktion und des Energiestoffwechsels, Reduzierter oxidativer Stress, verbesserter Eisenstoffwechsel, Zunahme des Hämatokrit mit verbesserter Sauerstoffversorgung von Herz und Niere, Verringerung des Sympathikotonus, reduzierte RAAS Aktivierung, insgesamt verbesserte Hämodynamik und verminderte Inflammation und Fibrose (zum kardiorenalen Effekt siehe auch Zelniker TA, Braunwald E. 2022).
Pharmakokinetik
Orale Verfügbarkeit, schnelle Resorption, hohe Plasmaeiweisbindung, maximale Plasmaspiegel innerhalb von 1-2 Stunden, Elimination innerhalb von 24-48 Stunden nach Absetzen.
Metabolisierung vorwiegend über Glukuronid-Konjugation über verschiedene UDP-Glukuronosyltransferase Enzyme. Kaum über CYP. Daher kaum nennenswerte pharmakokinetische Wechselwirkung mit anderen Medikamenten.
Bei Nierenfunktionsstörung eGFR ≤45 ml/min glukosesenkende Wirkung reduziert, ggf. zusätzliche glukosesenkende Medikation notwendig. Die kardio- und nephroprotektive Wirkung bleibt auch bei eingeschränkter Nierenfunktion erhalten.
Bei schwerer Leberfunktionsstörung keine Anwendung oder ggf. initial geringste Dosis und schrittweise erhöhen (siehe jeweilige Fachinfo).
Für Einzelheiten siehe Fachinformation des jeweiligen Medikamentes.
Indikation
Typ 2 Diabetes mellitus (Typ 2 DM), Herzinsuffizienz (HF), chronischer Nierenerkrankung (CKD) entsprechend Leitlinien:
Behandlung des Typ 2 DM (ESC Leitlinien, kardiovaskuläre Erkrankungen und Typ 2 DM) (Marx et al 2025).
Behandlung des Typ 2 DM erfolgt nach vorheriger Risikoevaluation:
ohne atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankung (ASCVD) oder Endorganschaden und mit geringem bis mäßigem Risiko (≤10% kalkuliertes 10 Jahres Risiko ASCVD Score/SCORE2 Diabetes) Behandlung mit Metformin (Klasse IIa 'sollte erwogen werden') oder SGLT2i falls Metformin nicht vertragen wird zusätzlich zu Lebenstilveränderungen (Ernährungsumstellung, Diät und Bewegung bzw. falls diese nicht ausreichen.
ohne atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen (ASCVD) oder Endorganschaden, aber mit hohem Risiko (≥10% kalkuliertes 10 Jahres Risiko ASCVD Score/SCORE2 Diabetes) sollte Behandlung mit Metformin oder SGLT2i oder GLP-1-RA in Betracht gezogen werden zur Prävention bzw. um kardiovaskuläres Risiko zu reduzieren. Klasse IIb C Empfehlung ('kann erwogen werden')
mit sehr hohem Risiko (multiple Risikofaktoren) bzw. mit ASCVD Klasse IA Empfehlung für SGLT2i, GLP-1-RA zur Risikoreduktion des kardiovaskulären Risikos unabhängig von Glukosekontrolle, HbA1c, zusätzl. zu Standardtherapie
ESC Leitlinien für Patienten mit Typ 2 DM mit Herzinsuffizienz (HF): zur Verbesserung der Prognose, Hospitalisierung, Lebensqualität bei chronischer HF (alle Formen der HF: HFpEF, HFmrEF, HFrEF) Klasse IA Empfehlung für SGLT2i (Dapagliflozin oder Empagliflozin) unabhängig von Blutzuckereinstellung und HbA1c, unabhängig von begleitender Blutzucker senkender Medikation zusätzlich zu Standardtherapie. Für zusätzliche Blutglukoseeinstellung wird, falls erforderlich, empfohlen Substanzen mit neutralem Effekt auf das kardiovaskuläre Risiko einzusetzen (Glp-1-RA, Siragliptin, Linagliptin, Metformin ggf. auch Insulin (Insulin glargin, Insulin degludec) Klasse IIa).
Patienten mit Typ 2 DM und chronischer Nierenerkrankung (CKD): zur Risikoreduzierung des kardiovaskulären Risikos und des Risikos für Progression der CKD und Nierenversagen SGLT2i Klasse I u.a. zusätzlich zu Standardtherapie unabhängig von Blutglukose und HbA1c.
Es wird empfohlen antidiabetische Medikation ohne nachgewiesenen vorteilhaften kardioprotektiven Effekt auf antidiabetische Medikamente mit nachgewiesenen kardioprotektiven Effekt umzustellen (Klasse 1C Empfehlung).
Andere antidiabetische Medikamente sollten nur zusätzlich eingesetzt werden, falls Blutglukoseeinstellung nicht hinreichend mit Klasse 1 Medikation möglich (Marx N et al 2023).
Behandlung der HF (ESC Leitlinien Update 2024) (Böhm M et al 2024): Mit SGLT2i (Dapagliflozin, Empagliflozin) steht die erste und einzige Herzinsufftherapie mit nachgewiesenem signifikanten Mortalitätsvorteil für das gesamte Spektrum der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) zur Verfügung.
Klasse-I-A Empfehlung für SGLT2i für alle Formen der Herzinsuffizienz über das gesamte Spektrum der Ejektionsfraktion und unabhängig von HbA1c.
Behandlung chronischer Nierenerkrankung (CKD)(ESC Leitlinien und KDIGO Leitlinien 2024)
- SGLT2i (Empagliflozin, Dapagliflozin) empfohlen mit Klasse 1A Empfehlung bei Patienten mit Typ 2 DM und chronischer Nierenerkrankung (CKD) mit eGFR ≥20 ml/min/1.73m2 zur Risikoreduktion für kardiovaskuläre Erkrankungen, Verschlechterung der Nierenfunktion und Nierenversagen.
- SGLT2i 1A Empfehlung auch für CKD mit eGFR ≥ 20 ml/min/1.73m2 mit Albuminurie ACR (Albumin/Creatine Ratio) ≥ 200 mg/g (≥ 20 mg/mmol) oder HF unabhängig vom Level der Albuminurie.
- SGLT2i 2B Empfehlung für CKD mit eGFR 20-45 ml/min/1.73m2 mit Albuminurie ACR (Albumin/Creatine Ratio) ≤ 200mg/g (≤ 20 mg/mmol).
SGLT2i bilden zusätzliche Säule neben Standardtherapie bei CKD.
Reversibles Absinken der GFR bei Therapiebeginn sollte nicht generell dazu führen, SGLT2i abzusetzen oder zu unterbrechen/engmaschige Kontrolle. (Bemerkung: Behandlung/Mitbehandlung durch erfahrenen Nephrologen beste Option insb. bei niedriger eGFR, da bei zu starkem Absinken der eGFR Gefahr von akutem Nierenversagen).
SGLT2i können Progression der CKD verlangsamen und terminale Niereninsuffizienz hinauszögern! Diese Schutzfunktion ist auch bei niedriger eGFR noch gegeben.
Bei kardio-renalem Syndrom bieten SGLTi den Vorteil, daß sie bei Gradwanderung zwischen kardialer Dekompensation wg Volumenbelastung und Gefahr der Nierenfunktionseinschränkung bei zu starker Diurese durch Diuretika, zusätzliche Volumenentlastung ohne die renalen Nebenwirkungen der üblichen Diuretika bewirken können.
Behandlung NAFLD (Aktualisierte S2k Leitlinie DGVS 2022) (Roeb E, et. al. 2022). Einsatz von SGLT2i kann erwogen werden (z.B. Empagliflozin oder Dapagliflozin) bei Patienten mit NAFLD ohne Zirrhose und Typ 2 DM aufgrund günstiger Effekte (signifikante Verbesserung des Leberfettgehaltes und zusätzlich positive Effekte aus kardiovaskulären und renalenEndpunktstudien)(Empfehlung: offene Empfehlung, starker Konsens).
Schwangerschaft/Stillzeit
SGLT2i sollten nicht angewandt werden während Schwangerschaft und Stillzeit. Es liegen hierzu keine Daten vor.
In tierexperimentellen Studien wurden vereinzelt embryotoxische Wirkungen festgestellt. Daher sollte bei Feststellung einer Schwangerschaft Behandlung mit SGLT2i abgebrochen werden.
In tierexperimentellen Studie wurde Übertritt in die Muttermilch und unerwünschte Wirkungen bei gestillten Nachkommen festgestellt. Risiko für Neugeborene/Säuglinge daher nicht ausgeschlossen, daher keine Anwendung während Stillzeit!
Dosierung und Art der Anwendung
SGLT2i werden oral verabreicht, im Allgemeinen reicht die Einnahme 1x täglich.
Darreichungsform und Dosierung entsprechend Indikation und Angaben für das jeweils angewandte Medikament siehe Produktangaben der Hersteller (Fachinformation).
Unerwünschte Wirkungen
Häufigste Nebenwirkung ist erhöhtes Risiko für das Auftreten von Genital- und Harnwegsinfektionen, aufgrund der Glukosurie. Risiko läßt sich durch gute Hygiene- und Pflegemaßnahmen reduzieren. Infektionen sind selten und lassen sich mit üblichen Begandlungsmaßnahmen allgem. gut behandeln.
Eine schwerwiegende unerwünschte Wirkung bzw. Komplikation ist das sog. Fournier Gangrän, eine nekrotisierende Fasziitis des Perineiums, das sehr selten auftritt. Das Risiko ist bei Patienten mit Immunschwäche jeder Ursache, schlechtem Allgemeinzustand und Ernährungszustand, Alkoholkrankheit, Drogenabhängigkeit, Rauchen, höheres Alter, Adipositas u.a. erhöht. Die Erkrankung ist lebensbedrohlich und erfordert sofortige chirurgische Behandlung und Debridement.
Komplikation: Atypische Ketoazidose, sehr selten aber potentiell lebensbedrohlich! Bei Behandlung mit SGLT2i kann Ketoazidose auch bei nur gering erhöhten oder normalen Blutglukoseewerten auftreten! Sehr wichtig und erfordert besondere Aufmerksamkeit in Bezug auf Klinik und Diagnose!
Bei folgenden Symptomen Ketoazidose sehr wahrscheinlich: Übelkeit, Erbrechen, Anorexie, Bauchschmerzen, starker Durst, Schwierigkeiten beim Atmen, Verwirrtheit, ungewöhnliche Müdigkeit, Schläfrigkeit, Bewußtseinsverlust.
Risiko ist erhöht bei Situationen mit vermehrtem endogenen Insulinbedarf oder relativem Insulinmangel, wie z.B. größere operative Eingriffe (Fasten, Stress) insbesondere große chirurgische Eingriffe und bariatrische Operation aber auch diagnostischen Prozeduren, die Nahrungskarenz erfordern, niederkalorische Diäten oder Fasten und Nahrungsumstellung insbesondere bei verminderter Kohlehydratzufuhr, Low-Carb-Diät, Malabsorption, starker Flüssigkeitsverlust und exessive körperliche Belastung, exzessiver Alkoholkonsum, oder akuten schweren Erkrankungen wie Infektionen, Gastroenteritis, Myokardinfarkt, Schlaganfall u.a.
Auch bei Kombinationsbehandlung von SGLT2i mit Insulin kann es durch Reduzierung der Insulindosis zu einem erhöhten Risiko für Ketoazidose kommen. Daher strenge Überwachung der Blutzuckerwerte und ggf. Ketonkörper und erhöhte Achtsamkeit für Symptome notwendig!
Diagnose: Überwachung der Ketonkörperkonzentration im Blut (Ketonkörperbestimmung im Harn nicht ausreichend), pH≤7,3; Serumbicarbonat ≤15mmol/l; Anionengap ≥12mmol/l.
Sofortiges Absetzen der SGLT2i und Behandlung bei Ketoazidose!
Pausierung der Behandlung bei Infektionen und akuten Erkrankungen sowie bei Nahrungsumstellung u.a. Absetzen mögl. 3 Tage vor Op. (AVP, Arneiverordnung in der Praxis Band 50(1), März 2023) (Patienten sollten über mögliche Ketoazidose, Risikosituationen und Symptome aufgeklärt werden!).
Zu Beginn der Behandlung kann es zu vorübergehender, reversibler Serumkreatininerhöhung und Verringerung der eGFR kommen = Teil des Wirkprinzips und der nephroprotektiven Wirkung durch osmotische Diurese und TGF. Bei Patienten mit stärker eingeschränkter Nierenfunktion wird eine engmaschige Überwachung und Behandlung durch erfahrenen Nephrologen empfohlen (klinische Daten und Studien, sowie Leitlinien und Nutzenbewertung für die Behandlung von CKD mit geringer eGFR beziehen sich auf Dapagliflozin und Empagliflozin; siehe Fachinformation für das jeweilige Produkt).
Für Ertugliflozin wird die Anwendung bei eGFR ≤45 ml/min nicht empfohlen, bei eGFR ≤30 ml/min soll eine Behandlung mit Ertugliflozin nicht erfolgen bzw. abgebrochen werden (siehe Fachinfo Steglatro, Stand 2024). Als Anwendungsgebiet ist nur die Behandlung des Typ 2 DM ab 18 Jahren angegeben (siehe Fachinfo Steglatro, Stand 2024)
Wechselwirkungen
SGLT2i lassen sich nach gegenwärtigem Stand ohne wesentliche, klinisch relevante Wechselwirkung mit anderen Medikamenten kombinieren.
Bei Kombination mit anderen Diuretika (Thiazid- und Schleifendiuretika) kann die diuretische Wirkung verstärkt werden und das Risiko für Dehydratation und Hypotonie wird erhöht. Insbesondere beachten bei älteren Menschen bzw. Hypotonie in der Vorgeschichte, Ausgleich von Dehydratation vor und während Behandlung, ggf. Dosisreduktion antihypertensiver oder diuretischer Begleitmedikation, ggf. pausieren der SGLT2i und Volumenausgleich.
Bei Kombination mit Insulin und insulinotropen Substanzen besteht das Risiko von Hypoglykämien (engmaschige Blutzuckerkontrollen insbesondere bei Dosisänderungen notwendig, ggf. vorsichtige Reduktion von Insulin o.a. ggf. Ketonkörperkontrolle).
Es kann zu vermehrter Ausscheidung von Lithium und Absinken des Serumlithiumspiegels kommen (regelmäßig Lithiumspiegel und ggf. Dosisanpassung bei Beginn der Begandlung und bei Dosisänderung von SGLT2i).
Für ausführliche Information bezüglich Besonderheiten der einzelnen Substanzen wird auf die jeweilige Fachinformation verwiesen.
Kontraindikation
SGLT2i sind nicht anzuwenden bei Typ 1 Diabetes mellitus, da ein zu großes Risiko für lebensbedrohliche Ketoazidose besteht.
SGLT2i sind nicht anzuwenden bei Patienten unter 18 Jahren (es liegen keine Daten vor). Ausnahme: Dapagliflozin und Empagliflozin für Typ 2 DM zugelassen ab 10 Jahren (Fachinformation Forxiga®, AstraZeneca Stand 2024; Fachinformation Jardiance®, Boehringer Ingelheim Lilly, Stand 2023).
Ertugliflozin nur ab 18 Jahren (Fachinformation Steglatro®, MSD,Stand 2024)
SGLT2i sind nicht anzuwenden bei Überempfindlichkeit gegen einen der Wirkstoffe oder sonstige Bestandteile des Medikamentes. Enthält Lactoseverbindung, daher nicht anwenden bei Patienten mit seltener hereditärer Galactose-Intoleranz, völligem Lactase-Mangel oder Glucose-Galactose-Malabsorption (siehe jeweilige Fachinfo)
Präparate
Monopräparate:
- Empagliflozin (Jardiance®) (Zulassung 2014)
- Dapagliflozin (Forxiga®) (Zulassung 2012)
- Ertugliflozin (Steglatro®) (Zulassung 2018)
- Canagliflozin (Invokana®) (in Deutschland nicht mehr im Handel)
- Sotagliflozin (Zynquista®) (Zulassung 2019 ursprünglich als add-on Therapie für Diabetes Typ 1 in Kombination mit Insulin bei stark übergewichtigen Patienten. Nichtselektiver, dualer SGLT-Inhibitor hemmt SGLT-1 und SGLT-2; in Deutschland nicht mehr im Handel, wg hoher Gefahr von potentiell lebensgefährlicher diabetischer Ketoazidose; in USA nur für einzelne Indikationenen zugelassen bei Herzinsuffizienz und Typ 2 Diabetes)
Kombinationspräparate: (Fixkombinationen haben eher nachrangige Bedeutung, da erst nachrangig überhaupt eine Indikation besteht und ein spezifischer zusätzlicher Nutzen in Studien für Fixkombinationen bisher nicht ausreichend belegt wurde):
- Xigduo® Dapagliflozin/Metformin
- Glyxambi® Empagliflozin/Linagliptin (Dipeptidyl-Peptidase-4-(DDP-4)Inhibitor)
- Steglujan® Ertugliflozin/Sitagliptin (Dipeptidyl-Peptidase-4-(DDP-4)Inhibitor)
Literatur
- AVP Arzneiverordnung in der Praxis (3/2023) Band 50(1).
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- DAZ online. EU-Zulassung. Neues Antidiabetikum Dapagliflozin 2012. DAZ online (2012); 04.12.2012.
- Duckworth W et al. for the VADT Investigators (2009) Glucose Control and Vascular Complications in Veterans with Type 2 Diabetes. N Engl J Med 360:129-39.
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Kurzdarstellungen zum Thema im Deutschen Ärzteblatt:
SGLT2-Inhibitoren verbessern körperliche Leistungsfähigkeit und Lebensqualität von Herzinsuffizienzpatienten. Deutsches Ärzteblatt, Medizin, News, 05/2024 https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/150943/SGLT2-Inhibitoren-verbessern-koerperliche-Leistungsfaehigkeit-und-Lebensqualitaet-von-Herzinsuffizienzpatienten
SGLT2-Inhibitoren könnten vor Demenz und Parkinson schützen, Medizin, News, 09/2024; https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/154478/SGLT2-Inhibitoren-koennten-vor-Demenz-und-Parkinson-schuetzen
Guckel D, Sohns C. Diabetes mellitus und Vorhofflimmern: Erhöhtes kardiales Risiko, fokussierte Therapiekonzepte
Dtsch Arztebl 2024; 121(13). https://www.aerzteblatt.de/archiv/240000/Diabetes-mellitus-und-Vorhofflimmern-Erhoehtes-kardiales-Risiko-fokussierte-Therapiekonzepte
Gerste RD. Typ-2-Diabetes: Positive Effekte von SGLT2-Hemmern auf Herz und Niere auch in Routineanwendung
Dtsch Arztebl 2023; 120(11): A-478 / B-412. https://www.aerzteblatt.de/archiv/230347/Typ-2-Diabetes-Positive-Effekte-von-SGLT2-Hemmern-auf-Herz-und-Niere-auch-in-Routineanwendung
Hofmann-Aßmus. Bei Herzinsuffizienz und Nierenerkrankung: SGLT-2-Hemmung doppelt gut
Dtsch Arztebl 2024; 121(8): A-553 https://www.aerzteblatt.de/archiv/238655/Bei-Herzinsuffizienz-und-Nierenerkrankung-SGLT-2-Hemmung-doppelt-gut
König R. NAFLD, NASH und Zirrhose: Diabetes schädigt auch die Leber. Dtsch Arztebl 2023; 120(26): A-1175. https://www.aerzteblatt.de/archiv/232480/NAFLD-NASH-und-Zirrhose-Diabetes-schaedigt-auch-die-Leber
Schwenger V. SGLT2-Inhibitoren und Begleiterkrankungen: Schutz für Niere und Herz. Dtsch Ärztebl 2022; 119:27-28. https://www.aerzteblatt.de/archiv/226140/SGLT2-Inhibitoren-und-Begleiterkrankungen-Schutz-fuer-Niere-und-Herz
Schwenger V, Larus J, Mahfoud F, Remppis BA. Kardiorenales Syndrom: Herz- und Niereninsuffizienz gleichzeitig im Fokus. Perspektiven der Kardiologie.
Dtsch Arztebl 2022; 119(24). https://www.aerzteblatt.de/archiv/225735/Kardiorenales-Syndrom-Herz-und-Niereninsuffizienz-gleichzeitig-im-Fokus