Polypharmazie Y57.-!; Y57.9!
Synonym(e)
Definition
Gleichzeitige Einnahme von 5 oder mehr rezeptpflichtigen oder nicht-rezeptpflichtigen Arzneimitteln. Polypharmazie steht häufig im Zusammenhang mit Multimorbidität. Sie wird begünstigt durch ungenaue Indikationsstellung, mangelnde Medikationsplanung und unzureichende Absprachen zwischen den Beteiligten: Patienten/Angehörigen/ Ärzten/ Apotheker. Die Häufigkeit von Polypharmazie nimmt weltweit zu, selbst in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Dies liegt einerseits an der steigenden Lebenserwartung und andererseits an der steigenden Anzahl von Menschen, die Zugang zu Arzneimitteln haben.
Eine andere Definition für Polypharmazie lautet: Die Verschreibung von mehr Medikamenten, als es klinisch indiziert ist, und/oder ein Regime mit mindestens einem unnötigen Medikament.
Vorkommen/Epidemiologie
Laut einer Erhebung einer Krankenkasse (Barmer) aus dem Jahr 2016 erhielten fast 12,5% aller Versicherten über mindestens ein Quartal 5 oder mehr Wirkstoffe verordnet und erfüllten damit das Kriterium der Polypharmazie. Über 3 Quartale traf das auf 5 % aller Versicherten zu. Bei rund 36 % aller medikamentös behandelten über 65-Jährigen liegt eine „kumulative Polypharmazie“ vor, definiert als eine Verordnung von 5 oder mehr Wirkstoffen innerhalb eines Quartals . Der Anteil der älteren Behandelten, die ärztliche Anordnungen zur Pharmakotherapie nicht befolgen, liegt bei ca. 20–50 %.
Diagnostik
Bestandsaufnahme der Medikamenteneinnahme und Medikationsbewertung: Prüfung der Angemessenheit der Verordnungen.
Therapie
Medikationsprozess optimieren: Um die Sicherheit und Qualität der Arzneitherapie zu optimieren und zu gewährleisten, soll der gesamte Verordnungsprozess betrachtet werden, mit folgenden Schritten, die zyklisch durchlaufen werden:
Bestandsaufnahme: Anamnese einschließlich Medikamentenanamnese
Medikationsbewertung: kritische Prüfung und Bewertung der Medikation
Abstimmung mit der behandelten Person über ihre Bedürfnisse und Vorstellungen zur Arzneitherapie
Verordnungsvorschlag: Therapiemodifikation, Auslassversuche etc.
Kommunikation: Information der Behandelten/Angehörigen
Monitoring (Prüfung der Behandlungsergebnisse, Erfassung unerwünschter Arzneimittelwirkungen – UAW).
Literatur
- Lohnstein M, Eras J, Hammerbacher C. Der Prüfungsguide Allgemeinmedizin - 4. Auflage. Augsburg: Wißner-Verlag, 2022.
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). S3-Leitlinie Hausärztliche Leitlinie: Multimedikation. AWMF-Leitlinie Nr. 053-043, Stand 2021.
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). S3-Leitlinie Multimorbidität - Living Guideline. AWMF-Leitlinie Nr. 053-047, Stand 2023. register.awmf.org
- Heim TM (2022) Arzneimitteltherapie im Alter – eine Herausforderung. Med Monatsschr Pharm 45: 306–11.
- Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Medikationsplan. Berlin 2023. www.kbv.de
- Köberlein-Neu J et al. (2016) Interprofessionelles Medikationsmanagement bei multimorbiden Patienten - Eine Cluster-randomisierte Studie (WestGem-Studie). Dtsch Arztebl Int 113:741-748.
- Thürmann P (2016) Arzneimitteltherapiesicherheit – Modelle der interprofessionellen Zusammenarbeit. Dtsch Arztebl Int 113: 739-40.
- Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). S2k-Leitlinie Arzneimitteltherapie bei Multimorbidität - Living Guideline. AWMF-Leitlinie Nr. 100-001. Stand 2023.
- Dörks M et al. (2015) Polypharmazie, eingeschränkte Nierenfunktion und daran angepasste Medikation bei Pflegeheimbewohnern – Ergebnisse der IMREN-Studie. German Medical Science GMS Publishing House
- Musini VM et al. (2019) Pharmacotherapy for hypertension in adults 60 years or older. Cochrane Database Syst Rev 6: CD000028.