NierenzystenQ61.3
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Bereits um 460 v. u. Z. beschrieb Hippokrates erstmals eine wahrscheinlich polyzystische Nierenerkrankung (Ganten 2013). Von Konert (2004) wird als Erstbeschreiber Felix Platter (1536 – 1614) genannt. Thomas Willis (1621 – 1675) beschrieb erstmals die Polyzyste (Konert 2004). Die erste umfangreiche Beschreibung einer Zyste erfolgte in den Jahren 1829 – 1835 von Cruveillhier (Ganten 2013).
Definition
Unter einer Nierenzyste versteht man eine uni- oder bilateral, solitär oder multipel auftretende runde und mitbernsteinfarbigem (Risler 2008), klarem Inhalt gefüllte Zyste (Hegele 2015). Diese liegt i. d. R. im Kortikalbereich der Niere (Keller 2010) und hat keine Verbindung zum Nierenbeckenkelchsystem (Manski 2019).
Einteilung
Die Nierenzysten werden unterteilt in
- -einfache benigne Nierenzysten
- komplexe potenziell maligne Nierenzysten (Hegele 2015)
Zur morphologischen Beurteilung und anschließenden Therapieplanung (Lerchbaumer 2018) werden zystische Raumforderungen nach Bosniak klassifiziert in:
- Bosniak I: Die Zyste ist eindeutig benigne. Es besteht kein Malignitätsrisiko.
- Bosniak II: Die Zyste ist < 3 cm groß. Es finden sich eine geringe Septierung, hyperdense Läsionen ohne Kontrastmittelaufnahme und dünne Verkalkungen. Es besteht kein Malignitätsrisiko, Kontrollen sind nicht erforderlich.
- Bosniak IIF: Diese Zysten sind nicht eindeutig der Gruppe II oder III zuzuordnen. Es besteht ein Malignitätsrisiko von 5 %. Das F steht für „follow up“: Regelmäßige Kontrollen sind erforderlich.
- Bosniak III: Es finden sich Septen von > 1 mm Dicke. Die Zystenwand zeigt unregelmäßige Verdickungen mit Kontrastverstärkung. In der CT sind primär unklare Dichten erkennbar. Die Zyste ist nicht eindeutig benigne, das Malignitätsrisiko liegt bei 50 %. Weitere diagnostische Abklärung unbedingt erforderlich.
- Bosniak IV: Die Zyste erscheint malignitätsverdächtig: Sie ist sonographisch nicht primär als Zyste erkennbar, zeigt einen hineinragenden soliden Prozess und / oder einen zentral zerfallenden Tumor. Das Malignitätsrisiko liegt bei 75 % - 90 %. Weitere Diagnostik bzw. operative Maßnahmen sind dringend angezeigt (Manski 2019 / Kuhlmann 2015 / Bartels 2013).
Die historische Klassifizierung der zystischen Nierenerkrankungen nach Potter (Potter I – IV) ist inzwischen nicht mehr gebräuchlich (nicht zu verwechseln mit der Potter- Sequenz, die charakteristische phänotypische Veränderungen beschreibt (Deeg 2014; Manski 2019).
Vorkommen/Epidemiologie
Die einfache Nierenzyste zählt zu den häufigsten Raumforderungen der Niere. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Die Inzidenz steigt im Alter (Hegele 2015). Bei 60 jährigen z. B. bestehen bei ca. 33 % eine oder mehrere einfache Nierenzysten (Manski 2019).
Ätiopathogenese
Die Ätiologie der einfachen Nierenzyste ist bislang nicht geklärt. Man vermutet eine Abflussstörung im Bereich der Nephrone, durch die es zu einer Aussackung und letztlich zur Bildung einer Zyste kommt (Geiger 2003).
Pathophysiologie
Eine Nierenzyste entsteht durch eine zystische Erweiterung, die von einem Nephronabschnitt ausgeht (Manski 2019).
Klinisches Bild
Eine einfache Nierenzyste verursacht i. d. R. keinerlei Symptome. Bei sehr großen Zysten klagen die Patienten mitunterüber Flankenschmerzen oder abdominelle Verdrängungssymptome (Manski 2019).
Diagnostik
Die einfache Nierenzyste wird größtenteils als Zufallsbefund bei der Sonographie entdeckt (Herold 2021). Wichtig ist bei der Diagnostik die Zuordnung zur einfachen benignen oder zur komplexen - potentiell malignen - Zyste (Manski 2019).
Bildgebung
Sonographie
Sonographische Kriterien für eine einfache Nierenzyste sind nach Hegele 2015:
- keine Verdickung der runden bis ovalen Zystenwand
- echofreier Inhalt der Zyste
- dorsale Schallverstärkung
- keine Septen nachweisbar
- keine Verkalkungen
Die Niere selbst erscheint normal groß, die Zysten können bis zu 10 cm Durchmesser umfassen (Kuhlmann 2015). Sollten Binnenechos, Verkalkungen oder Zystenkonglomerate darstellbar sein, empfiehlt sich zur weiteren Abklärung eine CT bzw. MRT (Keller 2010).
Computertomographie: Eine CT ist bei einem unklaren sonographischen Befund angezeigt, die einfache Nierenzyste stellt keine Indikation dar (Keller 2010). Verdächtig sind eine fehlende Kontrastierung der Zystenwand und nach Kontrastmittelgabe auch des Zysteninhaltes. Die Dichte der einfachen Nierenzyste liegt bei –10 bis 20 HU bzw. bei hyperdensen einfachen Zysten zwischen 20 – 90 HU (Manski 2019). Ab Bosniak III sind primär unklare Dichten erkennbar (Bartels 2013).
MRT: Da bei der MRT ionisierende Strahlen vermieden werden können, eignet sich diese besser zur Verlaufskontrolle. Diagnostische Vorteile gegenüber der CT bestehen nicht (Manski 2019).
Labor
Hämaturie: Bei Auftreten einer Ruptur der Zyste in das Hohlsystem kann es zu einer Hämaturie kommen (Manski 2019). Eine Einschränkung der Nierenfunktion besteht i. d. R. nicht (Herold 2021).
Histologie
Histologisch findet sich eine fibröse Zystenwand, die mit einem einfachen kubischen bis flachen Epithel ausgekleidet ist (Manski 2019).
Differentialdiagnose
Multizystische Dysplasie (MCDK) (Manski 2019)
- Nierenabszess
- Nierenzellkarzinom (Risler 2008)
- zystisches Malignom
- sekundäre Nierenzysten bei chronischer Niereninsuffizienz insbesondere unter Nierenersatztherapie
- Hämatom
- zystische Dilatation der Kelchhälse
- tuberkulöse Kaverne
- Abszess
- Echinokokkuszyste
- Dermoidzyste
- genetisch bedingte zystische Nierenerkrankungen (Herold 2021)
Komplikation(en)
arterielle Hypertonie bei Kompression der Nierenarterie oder einer ihrer Äste
Hämaturie bei Ruptur der Zyste
Hydronephrose bei Kompression des Hohlsystems oder des Harnleiters (Hegele 2015)
Infektion der Zyste (ist allerdings eine Rarität - Risler 2008)
Therapie
Die einfache Nierenzyste bedarf i. d. R. keinerlei Therapie (Manski 2019).
Sollte die Nierenzyste jedoch symptomatisch werden, kann eine Punktion mit Aspiration des Inhaltes und anschließender Verödungsbehandlung zur Senkung der Rezidivrate erfolgen (Herold 2021). Im Punktat empfiehlt sich, neben einer Zytologie auch die Bestimmung des Kreatinins (Manski 2019). Der Kreatininwert ist bei der einfachen Zyste serumidentisch (Hegele 2015). Eine laparoskopische Zystenabtragung ist ebenfalls möglich, entspricht aber der 2. Wahl, da die perkutane Sklerosierung der Zyste gute Ergebnisse zeigt (Manski 2019).
Bei zystischen Raumforderungen ist ab Bosniak III eine chirurgische Behandlung erforderlich in Form einer Tumornephrektomie oder einer Nierenteilresektion (Manski 2019).
Verlauf/Prognose
Die Prognose der einfachen Nierenzyste ist gut. Es besteht normalerweise kein Nierenfunktionsverlust (Herold 2021).
Bei ca. 25 % der Zysten zeigt sich eine Größenzunahme innerhalb von 3 Jahren.
Nach einer Punktion mit anschließender Sklerosierung treten Rezidive bei 10 % - 30 % auf (Hegele 2015).
Literatur
- Bartels H (2013) Raumforderungen der Niere im sonographischen Bild: Textbuch und Atlas. Springer Verlag 121
- Ganten D et al. (2013) Monogen bedingte Erbkrankheiten 2 : Handbuch der Molekularen Medizin. Springer Verlag 291 - 292
-
Geiger H et al. (2003) Nierenerkrankungen: Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Schattauer Verlag 440
- Hegele A et al. (2015) Urologie: Intensivkurs zur Weiterbildung. Thieme Verlag 124 – 125
- Herold G et al. (2021) Innere Medizin. Herold Verlag 630
- Keller C K et al. (2010) Praxis der Nephrologie. Springer Verlag 43 – 51
- Konert j et al. (2004) Illustrierte Geschichte der Urologie. Springer Verlag 82
- Kuhlmann U et al. (2015) Nephrologie: Pathophysiologie - Klinik – Nierenersatzverfahren. Thieme Verlag 64, 656
- Lerchbaumer M H (2018) „Die Bosniak-Klassifizierung von Nierenzysten im kontrastmittelunterstützten Ultraschall (CEUS) vergleichend zur Computertomographie und Magnetresonanztomographie“ Inauguraldissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doctor medicinae (Dr. med.) vorgelegt der Medizinischen Fakultät Charité - Universitätsmedizin Berlin
- Manski D (2019) Das Urologielehrbuch. Dirk Manski Verlag 231 – 236
- Risler T et al. (2008) Facharzt Nephrologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag 372
- Zerres K et al. (2000) Handbuch der Molekularen Medizin: Monogen bedingte Erbkrankheiten 2. Springer Verlag 281