Ionenkanalerkrankungen

Autor:Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 23.08.2024

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Synonym(e)

(e) Channelopathies; Kanalerkrankungen, Kanalopathien, (e) channelopathy

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Definition

Als „Ionenkanalerkrankungen“ wird eine heterogene Gruppe, ganz überwiegend hereditärer, oft autosomal-dominant vererbter, seltener erworbener Erkrankungen bezeichnet, denen Defekte in Ionenkanälen zugrunde liegen. Bei Ionenkanälen handelt es sich um membranständige Proteine, die sich zu selektiv wirksamen Poren für Natrium-, Chlorid-, Kalium- und Calcium-Ionen formieren. Die ungestörte physiologische Funktionalität dieser Ionenkanäle ist wichtige Voraussetzung für eine ungestörte Tätigkeit von Muskulatur oder Nervensystem. Ionenkanäle vermitteln die Umwandlung von Sinnesreizen und leiten diese Informationen über Aktionspotenziale und synaptische Übertragungsvorgänge weiter.

Mutationen in Genen die für die Kanalproteine kodieren führen zu einem veränderten „Schaltverhalten“, der Ionenkanäle. Vermehrte oder verminderte Öffnungen der membranständigen Kanalproteine bewirken ein pathologisches Erregungspotenzial des betroffenen Gewebes. Die Diagnose sollte durch eine molekulargenetische Diagnostik gesichert werden

Einteilung

Neurogene und muskuläre Ionenkanalerkrankungen

  • Nächtliche autosomal-dominante Frontallappen-Epilepsie (Steinlein et al 1995): CHRNA4 (20q)- Gen das für den a-4 Abschnitt des Liganden gesteuerten neuronalen nikotinischen Acetylcholinrezeptors kodiert.
  • Nächtliche autosomal-dominante Frontallappen-Epilepsie (De Fusco et al 2000): CHRNB2 (1q)- Gen das für den b-2 Unterabschnitt des nikotinischen Acetylcholinrezeptors kodiert.
  • Gutartige Neugeborenenkrämpfe (Singh et al 1998): KCNQ2 (20q)-Gen das für den spannungsabhängigen Kaliumkanal kodiert.
  • Gutartige Neugeborenenkrämpfe (Charkier et al 1998): KCNQ3 (8q) -Gen das für den spannungsabhängigen Kaliumkanal kodiert.
  • Generalisierte Epilepsie und Fieberkrämpfe (Wallace et al 1998): SCN1B (19q)-Gen das für den b-1- und a-1-Abschnitt des spannungsabhängigen neuronalen Natriumkanals kodiert.
  • Generalisierte Epilepsie und Fieberkrämpfe (Escayg et al 2000): SCN1A (2q)- Gen das für den b-1- und a-1-Abschnitt des spannungsabhängigen neuronalen Natriumkanals kodiert.
  • Generalisierte Epilepsie und Fieberkrämpfe (Baulac et al 2001): GABRG2 (5q)-Gen das für den g-2-Abschnitt des GABA–A Rezeptors kodiert.
  • Fieberkrämpfe/Absence-Epilepsie des Kindesalters (Wallace et al 2001): GABRG2 (5q) -Gen das für den g-2-Abschnitt des GABA–A Rezeptors kodiert.
  • Periventrikuläre Heterotopie (Fox et al 1998): Filamin (Xq28) Filamin-Gen.
  • Episodische Ataxie mit Myokymie (EA-1): KCNA1. Gen das für einen Kaliumkanal kodiert
  • Episodische Ataxie (EA-2): KCNA1. Gen das für einen Kalziumkanal kodiert.
  • Hemiplegische Migräne: CACNL1A4. Gen das für einen Kalziumkanal kodiert.
  • Stratle Erkrankung (Hyperekpexie): GLTA1. Gen das für die alpha1-Untereiheit des Glycinrezeptors kodiert
  • Autosomal dominante Taubheit (DFNA 2) KCNQ4

Skelettmuskuläre Ionenkanalerkrankungen

  • Kaliumsensitive Myotonie (Hypokaliämische periodische Lähmung Typ I) SCN4A . Gen das für die alpha Untereinheit des Natrium-Ionenkanals kodiert.
  • Paramyotonia congenita: SCN4A. Gen das für die alpha Untereinheit des Natrium-Ionenkanals kodiert.
  • Hyperkaliämische Myotonie: SCN4A. Gen das für die alpha Untereinheit des Natrium-Ionenkanals kodiert.
  • Hypokaliämische periodische Lähmung: CACNL1A3. Gen das für einen Kalziumionenkanal kodiert sowie für den Dihydropyridin-Rezeptor.
  • A.R. (Becker`sche) Myotonie: CLCN1. Gen das für einen Chloridionenkanal kodiert
  • A.D.(Thomson`sche) Myotonie: CLCN1. Gen das für einen Chloridionenkanal kodiert
  • Maligne Hypertonie: RYR1, SCNA4; CACNL2A, CACNL1A3. Unterschiedliche Gene
  • Central Core disease: RYR1. Gen das für den Kalziumfreisetzungskanal (Ryanodinrezeptor) kodiert
  • Kongenitales Myastheniesyndrom: CHRNA1; CHRNB1, CHRNE. Selten nur 1-4% aller Myasthenieformen

Kardiale Ionenkanalerkrankungen

  • Kardiale Ionenkanalerkrankungen beruhen auf Mutationen von Ionenkanälen und anderen Funktionsproteinen, die zu brady- und tachykarden supraventrikulären Arrhythmien, ventrikulären Arrhythmien, Synkopen und plötzlichem Herztod führen können. Kardiale Ionenkanalerkrankungen lassen sich anhand der Funktion der mutierten Proteine einteilen. Für den klinischen Alltag ist insbesondere die Einteilung nach klinischen und EKG-Kriterien wichtig.
  • Langes QT-Syndrom: KCNQ1- KCNQ2; SCN5A. Gene die für den langsamen und schnellen Kalium-Kanal kodieren. Die Mutationen sind mit Funktionsminderung („loss of function“) verbunden. Weiterhin liegen diesem Krankheitsbild Mutationen im Gen des kardialen Natrium-Kanals mit Funktionszunahme („gain of function“) zugrunde.
  • Romano-WRD-Syndrom: LQTS1-6.
  • Jervell-und Lange-Nelsen-Syndrom: KVLQT1, KCNQ1, KCNA8.
  • Andersen-Tavil-Syndrom: LQTS7-Gen. Gen das für Kaliumkanäle kodiert.
  • Short-QT-Syndrom (kurzes QT-Syndrom): KCNH1-Gen; KCNQ1-Gen KCNJ2-Gen.
  • Brugada-Syndrom: SCN5-Gen. Gen das für ein Protein eines Kaliumkanals kodiert.
  • Katecholaminerge polymorphe Kammertachykardie (catecholaminergic polymorphic ventricular tachyardia, CPVT): Ryanodin-Rezeptororgan (RyR2) / Calcisequestrin- (CASQ2-) Gen. Diese Gene kodieren die Proteine die die Kalziumfreisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum steuern. Patienten mit CPVT haben ein normales Ruhe-EKG und einen strukturell und funktionell unauffälligen Echo-Befund. Pathognomonisch sind polymorphe ventrikuläre Extrasystolen und bidirektionale oder polymorphe ventrikuläre Tachykardien (VT), die im Belastungs- und Langzeit-EKG sowie in Looprecordern oder unter medikamentöser Provokation mit Epinephrin oder Isoproterenol nachweisbar sind. Außerdem können adrenerg vermittelte Vorhoftachykardien auftreten.

Nephrogene Ionenkanalerkrankungen

  • DeToni-Debré-Fanconi-Syndrom: EHHADH. Gen das für das gleichnamige Enzym im mitochodrialen Fettsäure-Metabolismus kodiert. Die Enzymdefizienz führt zu einer Tubulusfunktionsstörung
  • Bartter-Syndrom (unterschiedliche Varianten I-V –SLC12A; KCNJ1, CLCNKB, BSND). Diese Gene führen zu Störungen in Na- und Ca-Ionenkanälen in den Nierentubuli und damit zu Störungen der tubulären Nierenfunktion.
  • Liddle-Syndrom: Mutationen in einem konstitutiv aktiven Na-Kanal mit einer erhöhten Na-Rückresorption.
  • EAST-Syndrom (Epilepsie, Ataxie, Schwerhörigkeit, Tubulopathie): KCNJ10. Gen das für einen Kaliumkanal kodiert, der in Nieren hier im distalem Nephron, Gehirn und der Stria vascularis des Innenohrs lokalisiert ist.

Sonstige:

  • Mukoviszidose (pleiotrope Ionenkanalerkrankung mit wesentlicher Lungenbeteiligung):Die monogene Erkrankung Mukoviszidose wird durch Mutationen im Cystic-fibrosis-transmembrane-conductance-regulator(CFTR)–Gen verursacht. 

Ätiopathogenese

Nerven­, Muskel- und Sinneszellen benötigen um ihre Funktion erfüllen zu können (vergleichbar mit einer Batterie) einen ausreichenden elektrischen Ladezustand. Ionenkanäle sorgen für eine elektrische Homöostase der Zellen. Genetische oder autoimmunologisch induzierte Veränderungen in der Zusammensetzung der Kanalproteine können vorübergehend oder dauerhaft zu einer Entladung dieser „Zellbatterie“ führen und dadurch Krankheiten verursachen. Veränderungen in Ionenkanälen sind mit folgenden Erkrankungen assoziiert:

  • Chloridkanäle: Störungen der Chloridkanäle sind für die Myotonia congenita Thomson und die Myotonia congenita Becker verantwortlich.
  • Natriumkanäle: Störungen der Natriumkanäle für die Paramyotonia congenita Eulenburg, die Myotonia fluctuans, die Myotonia permanens, die azetazolamidsensitiven Myotonien und die hyperkaliämische periodischen Lähmungen.
  • Kaliumkanäle: Störungen an den Kaliumkanälen werden für die familiären benignen Konvulsionen bei Neugeborenen, die episodische Ataxie Typ 1, die paroxysmale Choreoathetose, und eine Form der hereditären Taubheit verantwortlich gemacht.
  • Calciumkanäle: Störungen der Kalziumkanäle scheinen verantwortlich für die hypokaliämische periodische Lähmung, die maligne Hyperthermie, und die Central-Core-Myopathie, angeborene Taubheit (KCNQ4) sowie die bestimmten Formen der Nachtblindheit. Auch bei der Schizophrenie wird eine Funktionsstörung des KCNN3 einem Kalziumabhängigen Kaliumkanal vermutet.
  • Autoimmunologische Kanalopathien: Beim Isaacs- Syndrom (erworbene Neuromyotonie) handelt es sich um eine Antikörper- vermittelte Kaliumionen-Kanalerkrankung. Die "target Channelproteine dieser Antigene sind so genannte "voltage-gated Kaliumkanäle (VGKCs), besonders Dendrotoxinsensitiv schnelle Kaliumkanäle oder der ganglionischen nikotinischen Acetylcholinrezeptoren (AChR). Die Unterdrückung des auswärtsgerichteten Kaliumstroms führt hier zu einer Übererregbarkeit der peripheren Nerven.
  • Mutationen in mehreren Ionenkanäle: Zentralnervöse Erregungsstörungen wie die episodische Ataxien, die familiäre hemiplegische Migräne sowie 3 Formen dominant erblicher Epilepsien. Es gibt Hinweise darauf, dass es sich bei einem Teil der Epilepsien um Ionenkanalerkrankungen handelt. Hierbei können verschiedene Ionenkanäle betroffen sein (Kalium-, Natrium- und Calciumkanäle). Bei der Gruppe der idiopathisch-generalisierten Epilepsien scheint es zu einer Interaktion verschiedener Gene zu kommen.

Klinisches Bild

Die Ionenkanalerkrankungen sind klinisch durch ein episodisches Auftreten von unterschiedlichen Funktionsstörungen der Skelett- oder der Herzmuskulatur und des Zentralnervensystems (seltener anderer Gewebe, z.B. der Niere) gekennzeichnet. Während eines Anfalls kommt es meist zu einer unwillkürlich auftretenden Erregungsstörung des betroffenen Gewebes. Diese macht sich je nach Art und Lokalisation des Ionenkanals in Herzrhythmusstörungen, Muskelsteifigkeit, Lähmungen, Ataxie, Migräne oder epileptischen Anfällen bemerkbar. In nicht primär erregbaren Organen, wie der Niere, können Mutationen in Ionenkanälen Elektrolytstörungen hervorrufen.

Häufig lassen sich die Symptome durch bestimmte Trigger provozieren, wie zum Beispiel durch körperliche Anstrengung oder Aufnahme von kohlenhydratreicher Nahrung. Im anfallsfreien Intervall sind die Patienten oft unauffällig. Bei einigen Erkrankungen kann sich jedoch im Verlauf eine Degeneration des betroffenen Gewebes entwickeln, was z.B. zu langsam progredienten Muskelatrophien, Ataxie oder Nystagmus führt.

Diagnose

Der Familienanamnese kommt bei der Analyse einer Ionenkanalerkrankung eine Schlüsselrolle zu.

Bei bekanntem Gendefekt lässt sich bei den Ionenkanalerkrankungen die Pathophysiologie mithilfe elektrophysiologischer Techniken (Voltage-Clamp, Patch-Clamp - s.u. Ionenkanäle), die eine genaue Funktionsanalyse der mutierten Ionenkanäle bis auf die molekulare Ebene erlauben, detailliert aufklären.

Bei klinisch identifizierten familiär gehäuft auftretenden Syndromen mit typischerweise episodischen zentralen oder peripheren Erregungsstörungen, wie epileptischen Anfällen, episodischen Ataxien, paroxysmalen Dystonien oder Migräne, Herzrhythmusstörungen, wird die Erkrankung zusätzlich durch molekulargenetische Untersuchungen gesichert.

Therapie

An der Kenntnis des pathophysiologischen Mechanismus kann auch die Behandlung ansetzen. Medikamente, Konzentrationsänderungen der Ionen können die Schwelle der Aktivierung der Ionenkanäle verändern oder diese inaktivieren, ein Aktionspotential und eine Weiterleitung eines Nervenimpulses wird damit entweder erleichtert oder verhindert.

Hinweis(e)

Aufgrund der fundamentalen Bedeutung von Ionenkanälen wäre eigentlich zu erwarten, dass Mutationen in diesen hochkonservierten und funktionell bedeutsamen Regionen mit Veränderungen spezifischer Proteine eine Lebensfähigkeit nicht zulassen würden. Häufig jedoch sind die messbaren Veränderungen im Schaltverhalten des Natriumkanals nur sehr gering und führen über eine längere Zeitperiode nur zu einer geringfügigen Störung. Erst wenn ein zusätzlicher Trigger hinzutritt, z.B. eine Membrandepolarisation durch einen Kaliumanstieg im Serum nach Muskelarbeit, kann das System aus dem Gleichgewicht. Die Störung wird klinisch manifest.

Literatur

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