Interstitielle ZystitisN30.1
Synonym(e)
Erstbeschreiber
Bereits im Jahre 1808 beschrieb Dr. Phillip Syng Physick als Erster die interstitielle Zystitis (Tunn 2010). Detailliert wurde sie von Dr. Alexander Skene 1887 (Partin 2020) aufgezeichnet als „An inflammation that has distroyed the mucous membrane partly or wholly and extended to the muscular parietes“. Hunner beschrieb 1915 eine besondere Form von Blasengeschwüren bei der IC, die anschließend nach ihm als „Hunner- Läsionen“ benannt wurden. Im Jahre 2008 schlug die European Society for the Study of Interstitial Cystitis (ESSIC) zusätzlich die Bezeichnung „Bladder Pain Syndrome“ (BPS) vor (Bschleipfer 2018).
Definition
Die interstitielle Zystitis (IC / BPS) ist bislang weltweit nicht einheitlich definiert.
Laut S2K - Leitlinie handelt es sich bei der IC um eine chronisch entzündliche Erkrankung der Harnblase, die neben dem Symptomkomplex einer BPS (chronische Unterbauchschmerzen ohne Nachweis einer Entzündung) auch histologische und / oder zystoskopische Veränderungen aufweisen kann (Bschleipfer 2018).
Assoziierende Autoimmunerkrankungen bestehen bei bis zu 40 % der Patienten wie z. B.:
- Hashimoto- Thyreoiditis
(Hegele 2015)
Einteilung
Die IC wird unterteilt in 2 Subtypen:
- 1. Hunner- Typ: Hierbei sind zystoskopisch ulzeröse Veränderungen, sog. „Hunner- Läsionen“ nachweisbar und zusätzlich punktförmige Schleimhautblutungen der Harnblase (sog. „Glomerulationen“ [Manski 2019]). Typ 1 tritt nur selten auf (in ca. 10 % der Fälle. Kasper 2015, Bschleipfer 2018)
- 2. Nicht- Hunner- Typ: Beim Typ 2 sind keine Hunner- Läsionen unter bzw. nach Blasendistension nachweisbar (Bschleipfer 2018). Es finden sich aber bei bis zu 90 % der Patienten Glomerulationen (Manski 2019).
Vorkommen/Epidemiologie
Die IC kommt in allen Altersklassen vor, selbst bei Kleinkindern und Jugendlichen. Am häufigsten tritt sie bei Personen mittleren Alters (Häufigkeitsgipfel zwischen 42 - 53 Jahren) auf (Hegele 2015).
Frauen sind bis zu 9 x häufiger betroffen als Männer. Die Prävalenz bei Frauen liegt bei 52 – 500 / 100.000, bei Männern zwischen 8 – 41 / 100.000 (Bschleipfer 2018).
In den USA liegt die Prävalenz bei Frauen zwischen 3 % - 6 % und bei Männern zwischen 2 % - 4 %.
Da aber i. d. R. nur Patienten mit schwerer Symptomatik medizinische Versorgung in Anspruch nehmen, dürfte die Dunkelziffer hoch sein (Kasper 2015).
Ätiopathogenese
Bei ca. 1/3 der Patienten besteht zu Beginn der IC eine bakterielle Zystitis (Kasper 2015). Die genaue Ursache der IC ist aber bislang nicht bekannt (Kuhlmann 2015). Man vermutete die Hochregulierung der sensorischen Empfindungen im Gehirn. Allerdings konnte bislang in Studien keine abnormale Schmerzempfindlichkeit bei an einer IC Erkrankten nachgewiesen werden (Kasper 2015).
Es werden ätiologisch folgende Faktoren diskutiert:
1. Dysfunktion des Urothels: Durch die Dysfunktion kommt es zu einer erhöhten Permeabilität der Harnblasenschleimhaut. Insbesondere durch Eindringen von Kalium in das Interstitium können typische Symptomen der IC auftreten (Bschleipfer 2018).
2. Entzündliche Veränderungen: Hierbei bestehen hohe Konzentrationen an Immunglobulin, B- und T- Zellen, entzündungsunterstützenden Zytokinen und Leukotrienen sowie anderer Entzündungsmarker. Diese Veränderungen treten beim Hunner- Typ auf (Bschleipfer 2018).
3. Neuronale Überaktivität: Hier kommt es zum Auftreten eines neuropathischen Schmerzes durch Dysfunktion oder Schädigung des Nervensystems. Durch harmlose Stimuli werden Hypersensitivität und spontaner Schmerz ausgelöst. (Bschleipfer 2018)
4. Beeinträchtigte Mikrozirkulation: Es finden sich eine erhöhte Expression angiogener Wachstumsfaktoren und ein Absterben der Endothelzellen im Bereich der Harnblase. Durch die dysregulierte bzw. erhöhte Angiogenese kommt es zu Schleimhautblutungen. (Bschleipfer 2018)
5. Exogene Substanzen: Patienten mit IC klagen zu fast 90 % über Lebensmittelunverträglichkeiten, insbesondere betroffen sind davon Zitrusfrüchte, Meerrettich, Tomaten, Pfeffer, Essig, Glutamat, Zuckeraustauschstoffe etc.. Es kommt bei den betroffenen Patienten durch pathologische Mechanismen zu einem Zusammenhang zwischen Aufnahme bestimmter Nahrungsmittel und dem Auftreten der Symptome einer IC. (Bschleipfer 2018)
6. Histamin- Intoleranz: Möglicherweise spielt eine weitere Lebensmittelunverträglichkeit – die Histamin- Intoleranz - eine Rolle. In einer retrospektiven Studie fanden sich bei 65 % der IC- Patienten (n = 97) erhöhte Histaminwerte im Stuhl. Der genaue Pathomechanismus ist bislang nicht ausreichend geklärt, zumal derzeit keine schulmedizinisch anerkannte Testmethode zur Diagnostik der Histamin- Intoleranz existiert. (Bschleipfer 2018)
7. Infektionen: In der aktuellen Literatur wird der Zusammenhang zwischen Harnblasenentzündung und IC kontrovers diskutiert. Auffällig ist aber, dass Frauen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten Veränderungen zeigen, die die hypersensitiven Symptome erklären können, wie z. B.:
- erhöhte Rate an Zell- Apoptosen im Urothel
- erhöhte Anzahl an Mastzellen
- verringerte Anzahl an E- Cadherin (essenzielles Protein, welches einzelne Zellen miteinander verbindet [Woichansky 2016]) (Bschleipfer 2018)
8. Dysfunktion des Beckenbodens: Bei 50 % - 87 % der Patienten mit IC besteht eine Beckenboden- Hypertonie mit oftmals abnormalem muskuloskelettalem Befund (verzögerte oder fehlende Relaxation sowie herabgesetzter Kraft, Ausdauer und Koordination)(Bschleipfer 2018)
9. Viszeraler Crosstalk zwischen Darm und Harnblase: Die häufigste Komorbidität bei der IC stellt das Reizdarmsyndrom dar. Das sog. „Leaky- Gut- Syndrom“, bei dem in der intestinalen Epithelschicht geschädigte „Tight Junctions“ vorhanden sind, scheint u. a. Auslöser für Nahrungsmittel- Allergien bzw. - Sensitivitäten zu sein (Bschleipfer 2018).
10. Endometriose: Bei Patientinnen, die unter einer Endometriose leiden, besteht mitunter parallel dazu eine IC. Tirlapur et al. konnten 2013 in einer retrospektiven Studie nachweisen, dass beide Diagnosen gleichzeitig bei 48 % der Patientinnen bestehen. Dies sollte bei der Anamneseerhebung berücksichtigt werden und ggf. eine entsprechende Therapie der Endometriose veranlasst werden (Bschleipfer 2018).
11. Nicht- Harnblasen- assoziierte Faktoren: Häufig finden sich bei Patienten mit IC Begleiterkrankungen wie z. B.:
- Autoimmunerkrankungen
- allgemeine Erschöpfung bis hin zum chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS)
- funktionelles somatisches Syndrom
- Fibromyalgie etc.
- vorangegangene Operationen im kleinen Becken wie z. B. eine Hysterektomie.
- Der Schweregrad der IC korreliert mit dem Vorkommen der nicht- Harnblasen- assoziierten Erkrankungen (Bschleipfer 2018). Die bestehenden Begleiterkrankungen werden oftmals als sog. „funktionelle somatische Syndrome = FSS“ bezeichnet. Auf Grund der Komorbidität wird die IC auch oftmals als FSS bezeichnet (Kasper 2015).
12. Psychosomatische Belastungsstörungen
Kriterium A: Dazu zählen somatische Symptome, die zu Störungen des Alltagslebens führen.
Kriterium B: Psychologische Merkmale, die sich
- auf die Ernsthaftigkeit der vorliegenden Symptome beziehen (sog. kognitive Dimension)
- anhaltende ausgeprägte Ängste wegen bestehender Symptome und der Gesundheit im Allgemeinen (sog. emotionale Dimension)
- exzessiver Aufwand an Energie und Zeit, die für Gesundheitssorgen aufgebracht werden (sog. Verhaltensdimension)
Kriterium C: Persistierende Symptombelastung von > 6 Monaten. (Bschleipfer 2018)
13. Mikrobiom: Die Mikrobiomforschung macht momentan große Fortschritte. Aus ihr könnten sich möglicherweise neue diagnostische und therapeutische Ansätze zur Behandlung einer IC ergeben. Es finden sich z. B. – verglichen mit gesunden Frauen - bei der DNA- Sequenzierung des Urins eine verminderte Bakteriendiversität zusammen mit einem Überschuss an Lactobazillen. Auch bei PCR- Untersuchungen des Stuhls fanden sich Unterschiede gegenüber Gesunden in Form erniedrigter Konzentrationen an Eggerthella sinensis, Lactonifactor longoviformis, Odoribacter splanchnicus, Collinsella aerofaciens und Fae- calibacterium prausnitzii. Weitere Erkenntnisse müssen derzeit noch abgewartet werden (Bschleipfer 2018)
14. Genetik: Die Rolle genetischer Faktoren konnte bislang nicht eindeutig belegt werden, sind aber möglich (Bschleipfer 2018).
Pathophysiologie
Normalerweise ist das Urothel durch eine glykosaminoglykanhaltige Schicht vor schädigenden Bestandteilen des Urins geschützt. Im Falle einer IC ist dieser Schutzmechanismus gestört. Dadurch gelingt es toxischen Bestandteilen des Urins, in tiefere Schichten der Blasenwand vorzudringen.
Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Kalium zu, welches zu einer Depolarisation der Nerven- und Muskelzellen führt und damit die klinischen Symptome wie Schmerz und Harndrang auslösen.
Zusätzlich behindern die eingedrungenen Antiproliferationsfaktoren die Mastzell- Degranulation und die Urothel- Regeneration (Risler 2008).
Klinisches Bild
Das typische Trias einer IC sind:
- Pollakisurie
- Blasenschmerzen
- verminderter Harnblasenkapazität
(Manski 2019)
Die Symptome treten bei einem Teil der Patienten allmählich auf. Andere wiederum können exakt das Datum des ersten Auftretens angeben. Bei mehr als der Hälfte der zuletzt genannten Gruppe beginnt die Symptomatik mit einer Dysurie(Kasper 2015).
Die Symptomatik besteht über einen langen Zeitraum und ist gekennzeichnet durch rezidivierende Schübe unterschiedlicher Intensität (Risler 2008).
Bei einer IC können auftreten:
- Schmerzen mit p. m.
- suprapubisch sog. Algurie (Herold 2021) findet sich bei 80 %
- im Bereich der Harnröhre bei 35 %
- nicht urogenitale Bereiche (z. B. unterer Rücken, Gesäß, Oberschenkel) bei 30 %
- Vulva bei 25 %
Die Schmerzen verschlimmern sich bei bis zu 95 % der Patienten durch Füllung der Blase und > 50 % der Patienten berichten über eine Zunahme der Schmerzintensität bei Aufnahme bestimmter Nahrungsmittel, Menstruation, enge Bekleidung, Stress, nach dem Vaginalverkehr etc. (Kasper 2015).
- starker Harndrang (bis zu 60 x / 24 h) sog. Pollakisurie
- durch gehäufte Nykturie bedingter Schlafentzug
- deutlich eingeschränkte Lebensqualität
Das Spektrum der Symptomintensität kann sehr stark differieren..
(Kasper 2015)
Bei manchen Patienten bestehen außerdem:
- Gelenkschmerzen
- Muskelschmerzen
- Dickdarm- bzw. Magenprobleme
- allergische Reaktionen
- Migräne
(Hegele 2015)
Diagnostik
Da für den Nachweis einer IC kein spezifischer Test existiert, ergibt sich die Diagnose aus dem o. g. Beschwerdebild und dem Ausschluss infektiöser und struktureller Erkrankungen der Harnblase.
Die Diagnose einer IC kann von vornherein ausgeschlossen werden bei:
- fehlender Nykturie
- Harnblasenkapazität von > 350 ml
(Kuhlmann 2015)
Bei einer großen Anzahl der Patienten führen anhaltende bzw. ständig wiederkehrende Symptome ohne Bakteriurie – oftmals erst nach Jahren - zur Diagnose einer IC.
(Kasper 2015)
Zu den obligaten Untersuchungen bei V. a. eine IC zählen:
- ausführliche Anamnese
- Miktionsprotokoll über 2 – 7 Tage
- Schmerzbogen. Zur Verfügung stehen folgende Fragebögen in englischer Sprache:
- Pelvic Pain and Urgency / Frequency patient symptom scale“ (PUF). Dieser Fragebogen befasst sich mit postkoitalen Schmerzen und Beckenschmerzen und kann diese näher lokalisieren. Außerdem kann damit der Behandlungserfolg gut evaluiert werden.
- Bladder Pain /I C Symptom Score (BPIC- SS). Dieser Fragebogen findet vor allem in der klinischen Forschung Verwendung.
- O’Leary- Sant interstitial cystitis problem and symptom indices“ (ICPI / ICSI). Xu et al. (2013) empfehlen den O’ Leary- Sant- Fragebogen zur Diagnostik einer IC nicht grundsätzlich, da zwar die Sensitivität bei 98 % liegt, die Spezifität aber mit 8 % sehr niedrig ist. Ein OPSI- Grenzwert von ≥ 12 könne aber zur Differenzierung verwendet werden. Durch den Fragebogen lassen sich allerdings Harnblasenmissempfindungen und Miktionsfrequenz gut protokollieren
(Bschleipfer 2018)
- körperliche Untersuchung einschließlich:
- rheumatologischem Befund
- gynäkologischer Untersuchung
- proktologischer Untersuchung
- Urinstatus
- Urinkultur
- zum Ausschluss eines Blasentumors:
- Sonographie (Risler 2008)
- Urinzytologie
- Sonographische Restharnbestimmung
- Standardabklärung wie z. B.:
- Ausschluss einer TBC
(Hegele 2015)
Fakultative Untersuchungen sind z. B.:
- Sonographie der Nieren
- Zystoskopie mit Blasendistension und PE zur Bestimmung der Anzahl aktivierter Makrophagen und Dichte der Nervenfasern im Detrusor
- Ausscheidungsurographie
- Uroflowmetrie
- Kalium- Chlorid- Test
- Urodynamik
- MRT / bzw. CT des Beckens
(Hegele 2015)
Uroflowmetrie
Bei Männern empfiehlt sich laut S2K- Leitlinie eine Uroflowmetrie mit Restharnbestimmung (Bschleipfer 2018).
Bildgebung
Uro- Sonographie
Eine Uro- Sonographie sollte in jedem Fall erfolgen, ggf. mit zusätzlicher Untersuchung der Nieren (Bschleipfer 2018).
Zystoskopie
Bei der Zystoskopie können Hunner- Läsionen und sonstige Veränderungen der Schleimhäute erkannt werden (Bschleipfer 2018).
Labor
Es empfiehlt sich auf jeden Fall, eine Urinuntersuchung mit Teststreifen und Urinkultur durchzuführen. Initial finden sich oftmals Leukozyten oder uropathogene Keime im Urin (Kasper 2015). Im weiteren Verlauf ist die Urinkultur aber typischerweise unauffällig.
Falls eine sterile Leukozyturie oder eine Hämaturie vorhanden sind, sollte eine zusätzliche Urinzytologie erfolgen.
(Bschleipfer 2018)
Bei ca. 50 % der Patienten besteht eine anhaltende oder intermittierende Mikrohämaturie.
(Kasper 2015)
Histologie
Bei Patienten mit Hunner- Läsion besteht eine interstitielle Entzündung. Auch Mastzellen und Granulationsgewebe sind histologisch nachweisbar.
Bei den restlichen ca. 90 % der Patienten finden sich jedoch keine Läsionen, die Blasenschleimhaut und das Interstitium weisen keinerlei entzündliche Veränderungen auf (lediglich die o. g. Glomerulationen sind nachweisbar).
(Kasper 2015)
Da jedoch bei der IC keine typische Histologie vorhanden ist, kann auf eine Biopsie verzichtet werden (Risler 2008).
Differentialdiagnose
- chronische Prostatitis (wird oftmals irrtümlicherweise bei Patienten mit IC diagnostiziert)
- überaktive Harnblase (keine Schmerzen)
- Endometriose
- Endometrium- Implantate
- Reizdarmsyndrom
- Fibromyalgie
- Vulvodynie
- chronisches Harnröhrensyndrom
- Nephrolithiasis
- Blasenkarzinom
(Kasper 2015)
- Beckenbodendysfunktion
- Hernien
- Narbenschmerzen
- maligne Erkrankungen des Muskel-, Skelett- und Bindegewebes
- chronisch entzündliche Darmerkrankungen
- maligne intestinale Erkrankungen
- Dünn- oder Dickdarmstenosen
- maligne gynäkologische Erkrankungen
- gynäkologische Fehlbildungen
- Ovulationsschmerz
- pelvine Varikose
- Herpes genitalis
- Neuralgien
- Varizella zoster
- psychische Störungen
- chronische Harnwegsentzündungen
(Bschleipfer 2018)
Therapie
Bei der Minderheit der Patienten, die sich frühzeitig in ärztliche Behandlung begeben, finden sich initial oftmals Leukozyten oder uropathogene Keime im Urin. Diese werden entsprechend antibiotisch behandelt bzw. bei Männern i. d. R. eine vermeintliche chronische Prostatitis therapiert. Zu einer Besserung der o. g. Symptomatik kommt es jedoch nicht (Kasper 2015).
Therapie allgemein
Eine kausale Therapie der IC gibt es bislang nicht (Herold 2021). Ziel der Therapie kann es lediglich sein, die Symptome zu lindern (Kasper 2015).
Empfohlen werden Vermeidung von Stress und Unterkühlung. Durch ein Blasentraining mit kontrollierter Flüssigkeitsaufnahme ist es oftmals möglich, die Häufigkeit und Intensität des Harndrangs zu reduzieren.
Die Ernährung sollte den eventuell vorhanden Unverträglichkeiten angepasst werden.
Auf Grund des langjährigen Krankheitsverlaufes entwickeln die Patienten häufig Depressionen und Erschöpfungszustände, die entsprechend psychotherapeutisch begleitet werden sollten.
Auch Physiotherapie bei speziellen Beckenboden- Physiotherapeuten kann zur Verbesserung der Lebensqualität führen.
Die Behandlung mit einer speziellen Vibrationsplatte zwischen 5 – 10 Hz hat bei manchen Patienten ebenfalls zu einer Verbesserung der Symptomatik geführt.
(Bschleipfer 2018)
Interne Therapie
Als interne Therapie stehen zur symptomatischen Behandlung – je nach Beschwerdebild - zur Verfügung z. B.:
- Analgetika
- Antihistaminika
- Antidepressiva
- Antiphlogistika
- muskelrelaxierende Medikamente
(Hegele 2015)
- Immunsuppressiva
(Bschleipfer 2018)
- 1. Analgetika / Antiphlogistika
Vorrangiges Ziel sollte es sein, den Patienten von seinen starken Schmerzen zu befreien. Eingesetzt werden können NSAR, Novaminsulfon oder Opioide.
Zu berücksichtigen ist dabei, dass NSRA und Opioide Histamin freisetzen und somit die Symptomatik u. U. verstärken können. Ein Therapieversuch wird aber dennoch empfohlen.
Auch Lokalanästhetika oder bestimmte Verfahren zur Regional- und Leitungsanästhesie können bei nicht anders beherrschbaren Schmerzen zum Einsatz kommen.
(Bschleipfer 2018)
- 2. Antihistaminika
Der Histamin-2-Rezeptorantagonist Cimetidin z. B. wurde erstmals von Seshadri et al. im Jahre 1994 bei IC eingesetzt. Bei 66 % der Patienten kam es innerhalb eines Monats zu einer Besserung. In einer späteren Studie traten ebenfalls signifikante Verbesserungen ein.
Dosierungsempfehlung: 2 x 400 mg / d (Bschleipfer 2018)
- Pentosanpolysulfat (PPS)
PPS ist das einzige in Deutschland zugelassene Medikament zur Behandlung einer IC, sofern Glomerulationen und / oder Hunner- Läsionen vorliegen.
Es wird aus Buchenrinde synthetisiert (Ehmer 2019) und führt zu einer Reparatur der GAG- Schicht des Urothels, wodurch im Urin gelöste Substanzen (s. a. „Ätiologie“) nicht mehr die Wand der Urothels passieren können (Bschleipfer 2018).
Die Mehrzahl der Patienten gibt darunter eine Verbesserung der Symptomatik an. Allerdings werden erste Erfolge frühestens nach 3 Monaten, gelegentlich auch erst nach 6 – 12 Monaten verzeichnet.
Dosierungsempfehlung: PPS 100 mg 3 x 1 Kapsel / d
(Ehmer 2019)
- Hydroxyzin kann die durch neurologische Stimulation ausgelöste Mastzellaktivierung inhibieren.
Seine anticholinerge, anxiolytische und analgetische Wirkung können ebenfalls zur Reduktion der Symptome führen.
Dosierungsempfehlung: 25 mg – 75 mg / d.
(Bschleipfer 2018)
- 3. Antidepressiva
Amitriptylin ist ein trizyklisches Antidepressivum, welches sowohl die Schmerzweiterleitung im zentralen Nervensystem als auch die Mastzellaktivierung inhibiert.
Dosierungsempfehlung: Amitriptylin sollte einschleichend mit zunächst 10 mg abends gegeben werden. Mit einem Einsetzen der Wirkung kann aber erst ab einer Dosis von ≥ 50 mg / d zu gerechnet werden.
(Bschleipfer 2018)
- Mirtazapin
Als Alternative zum o. g. Amitriptylin kann auch das tetrazyklische Mirtazapin eingesetzt werden. Studienergebnisse hinsichtlich der Wirksamkeit bei IC liegen allerdings nicht vor.
Bei Mirtazapin sollte mit einer einschleichenden Dosis von 15 mg abends begonnen werden und diese bis auf maximal 45 mg / d gesteigert werden.
(Bschleipfer 2018)
- 4. Muskelrelaxantien
Der Alpha- 2- Antagonist Tizanidin kann Muskelkrämpfe und Muskelspasmen mindern, die durch das zentrale Nervensystem ausgelöst werden. Er wird i. d. R. zusammen mit Analgetika eingesetzt.
Dosierungsempfehlung: Tizanidin 2 mg – 6 mg / d (Bschleipfer 2018).
- 5. Immunsuppressiva
Auch Immunsuppressiva wie z. B. Azathioprin, Ciclosporin A und Methotrexat können bei einer IC eingesetzt werden. Die diesbezügliche Studienlage ist aber sehr dürftig, so dass in der Praxis Immunsuppressiva kaum eine Rolle spielen (Bschleipfer 2018).
- Physikalische Therapie
In randomisierten Studien hat eine 1 x wöchentliche physikalische Behandlung zur Entspannung des Beckenbodens eine Verbesserung der Symptomatik bewirkt. Allerdings sollte der Physiotherapeut hinsichtlich einer IC informiert sein, da das Ziel der Therapie die Entspannung und nicht der Muskelaufbau ist.
(Kasper 2015).
Operative Therapie
Wenn konservative Behandlungsmöglichkeiten ohne Erfolg bleiben, stehen verschiedene transurethrale Verfahren zur Verfügung.
- Hydrodistension (Manski 2019)
Bei einer Zystoskopie unter Narkose wird dabei die Blasenwand mit Wasser gedehnt. Bis zu 40 % der Patienten geben danach eine für mehrere Monate anhaltende Verbesserung der Symptomatik an. Die Dehnung der Blasenwand kann bei Bedarf wiederholt werden.
(Kasper 2015)
- Intravesikale Instillation
Hierbei werden Heparin, Chondroitinsulfat oder Hyaluronsäure einzeln oder auch in Kombination wöchentlich in die Harnblase instilliert, um durch Regeneration der GAG- Schicht (Glykosaminoglykan-Schicht) die Permeabilität des Urothels zu verbessern.
(Manski 2019)
- Fulguration
Bei Patienten mit Hunner- Läsionen können diese mit einem Laser oder einer Schlinge verödet werden. Initial führt die Fulguration zu einer deutlichen Verbesserung der Schmerzsymptomatik (Bschleipfer 2018), die Rezidivrate ist jedoch hoch (Manski 2019).
In Studien zeigte die Fulguration in Kombination mit einer Hydrodistension beim Hunner- Typ größere Erfolge (Bschleipfer 2018).
- Neuromodulation
Die Neuromodulation eignet sich für Patienten, bei denen die medikamentöse Behandlung keinen Erfolg zeigt.
Man differenziert dabei zwischen
- Sakraler Neuromodulation (SNM):
Der Behandlungserfolg der einzigen randomisierten kontrollierten Studie zeigte einen 49 % tigen Erfolg mit Rückgang der Schmerzskala VAS von ehemals 7,9 auf 4,0.
- Pudendaler Neuromodulation (PNM):
Aussagekräftige randomisierte kontrollierte Studien liegen für die PNM nicht vor. Betroffene Patienten, die mit einer pudendalen Neuromodulation behandelt wurden, geben in > 90 % der Fälle an, sie würden wieder eine Implantation durchführen lassen.
- Perkutaner tibialer Nervenstimulation (PTNS):
Auch die PTNS wurde bei Patienten mit IC eingesetzt. Allerdings gibt es kaum Daten über die Wirksamkeit.
Bislang ist unklar, welche Patienten am meisten von Methoden der Neuromodulation profitieren.
(Bschleipfer 2018)
Offen chirurgische Therapie
Als Mittel der letzten Wahl steht für Patienten, die auf die bisher genannten Behandlungen nicht ansprechen und über eine Harnblasenkapazität von < 250 ml verfügen, die offen chirurgische Blasenaugmentation zur Behandlung der Pollakisurie (und auch der Schmerzreduktion laut Bschleipfer 2018) zur Verfügung (Manski 2019).
Als operative Maßnahmen kommen in Frage die:
- supratrigonale Zystektomie, bei der eine Rekonstruktion der Blase aus Darmgewebe erfolgt. Es hat sich in Studien gezeigt, dass 85 % der Patienten postoperativ sekundär auf Grund starker Schmerzen letztlich doch zystektomiert werden müssen. Von daher stellen Schmerzen eine Kontraindikation für die supratrigonale Zystektomie dar (Bschleipfer 2018).
- subtrigonale Zystektomie (komplette Harnblasenaugmentation), bei der eine Harnleiter- Darm- Anastomose gelegt wird (Manski 2019). Diese Methode kann Schmerzen sicher und anhaltend beseitigen (Bschleipfer 2018).
Verlauf/Prognose
Es kommt nur sehr selten zu einer Ausheilung der IC, dann überwiegend in frühen Stadien. Charakteristisch für die Erkrankung ist der undulierende Verlauf (Hegele 2015).
Häufig besteht eine wiederholte oder auch dauerhafte Arbeitsunfähigkeit.
Im Spätstadium der Erkrankung kommt es zu einer Schrumpfung der Harnblase mit geringer Aufnahmekapazität (Bschleipfer 2018).
Hinweis(e)
Patienten mit IC weisen ein deutlich höheres Risiko für eine koronare Herzerkrankung auf.
Auch das Risiko eines ischämischen Insults liegt um 52 % höher als bei Vergleichspersonen.
Harnblasenkarzinome treten bei 0,36 % der Patienten auf und Malignome des oberen Harntrakts bei 0,22 % (Kontrollgruppe: 0,06 % bzw. 0,1 %).
(Bschleipfer 2018)
Literatur
- Bschleipfer T et al. (2018) Leitliniengruppe S2K-Leitlinie für Interstitielle Cystitis (IC/BPS) Langfassung, 1. Auflage, Version 1, 2018
- Ehmer I (2019) Blasenentzündung und Interstitielle Zystitis: Test – Therapie – Schmerzbekämpfung. Zuckschwerdt Verlag 123
- Hegele A et al. (2015) Urologie: Intensivkurs zur Weiterbildung. Thieme Verlag 158 – 159, 371 - 372
- Herold G et al. (2021) Innere Medizin. Herold Verlag 618
- Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 60 e- 1 bis 60 e- 4
- Kuhlmann U et al. (2015) Nephrologie: Pathophysiologie - Klinik – Nierenersatzverfahren. Thieme Verlag 558 - 559
- Manski D (2019) Das Urologielehrbuch. Dirk Manski Verlag 356 – 360
- Partin A W et al. (2020) Campbell – Walsh- Wein: Urology. Elsevier 1224 - 1224. e 1, 1225
- Risler T et al. (2008) Facharzt Nephrologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag 780 - 781
- Tirlapur, S.A., et al. (2013) The 'evil twin syndrome' in chronic pelvic pain: a systematic review of prevalence studies of bladder pain syndrome and endometriosis. Int J Surg, 11 (3): 233 - 237
- Truß M C et al. (2005) Pharmakotherapie in der Urologie. Springer Verlag 244 - 245
- Tunn R et al. (2010) Urogynäkologie in Praxis und Klinik. Walter de Gruyter Verlag 217 - 218
- Woichansky I, Beretta, C., Berns, N. et al. (2016) Three mechanisms control E-cadherin localization to the zonula adherens. Nat Commun 7, 10834 (2016). https://doi.org/10.1038/ncomms10834
- Xu L et al. (2013) [Efficiency of O'Leary-Sant symptom index and problem index in the diagnosis of interstitial cystitis] PubMed 93 (42) 3347 - 3350