HydronephroseN13.3

Autor:Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 21.08.2024

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Synonym(e)

Harnstauungsniere; Nierenbeckendilatation

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Erstbeschreiber

Posteriore Urethralklappen (eine Ursache der Hydronephrose) wurden erstmals von Margagni im Jahre 1715 beschrieben (Coen 2006).

Definition

In der Literatur existieren unterschiedliche Bezeichnungen für eine Hydronephrose. 

Historisch wurde die Hydronephrose neben dem Vorliegen einer Obstruktion der ableitenden Harnwege auch dem Vorhandensein eines einhergehenden Nierenfunktionsverlustes gleichgesetzt (Geiger 2003).

Kuhlmann (2015) beschreibt die Hydronephrose als die Erweiterung des Nierenbeckens durch eine obstruktive Nephropathie. Die Erweiterung der Nierenkelche wird als Hydrokalix bezeichnet (Kuhlmann 2015).

Hegele (2015) versteht darunter im deutschsprachigen Raum eine Harnstauung im Bereich des Nierenbeckens mit einhergehender degenerativer Veränderung des Nierenparenchyms.

Im englischsprachigen Raum wird unter einer „Hydronephrosis“ eine passagere oder permanente Aufweitung des Nierenbeckens bzw. des Nierenbeckenkelchsystems verstanden (Hegele 2015).

 

 

Einteilung

  • Angeborene Hydronephrose (Entezami 2002):
    • intrinsische Obstruktion (häufigste Form)
    • extrinsische Obstruktion
    • sekundäre Obstruktion

Erworbene Hydronephrose:

  • unilateral: Sie entsteht durch eine Stenosierung oberhalb der Harnblase. 
  • bilaterale: Diese findet sich bei Stenosierungen in oder unterhalb der Harnblase (Kasper 2015) 
  • partiell / komplett 
  • akut / chronisch (Kuhlmann 2015)

Stadieneinteilung Hydronephrose:

  • Grad I:

Es findet sich eine Erweiterung des Nierenbeckens, ggf. auch der Kelche. Das Organ selbst ist nicht vergrößert.

  • Grad II:

Zu den unter Grad I genannten Veränderungen kommt eine Vergrößerung des Organes hinzu.

  • Grad III:

Hierbei findet sich neben den o. g. Veränderungen auch noch eine Verschmälerung des Parenchymsaumes.

  • Grad IV:

Die Niere stellt sich als sog. hydronephrotische Sackniere dar. Das Parenchym ist funktionslos. Es finden sich ein einzelner Hohlraum oder als Traube dilatierte Kelche (Debus 2012).

Stadieneinteilung nach Beetz et al.:

  • Grad I:

Das Parenchym ist normal breit, das Pyelon aufgeweitet, der Transversaldurchmesser liegt über der 95. Perzentile, die Kelche sind nicht dilatiert.

  • Grad II:

Das Parenchym ist normal breit, das Pyelon und die Kelche sind aufgeweitet, die Kelchhälse leicht erweitert, die Papillenspitzen sind erhalten, der Fornixwinkel ist spitz.

  • Grad III:

Das Parenchym ist verschmälert, es findet sich eine deutliche Nierenbeckenkelcherweiterung, die Kelche selbst sind verplumpt mit abgeflachten Papillen und stumpfem Fornixwinkel.

  • Grad IV:

Hierbei ist das Parenchym erheblich verschmälert, die Nierenbeckenkelche sind extrem erweitert, die Kelche breit ausgewalzt, die Grenze zwischen Pyelon und Kelchsystem ist teilweise bis vollständig aufgehoben (Schäfer 2016).

Vorkommen/Epidemiologie

Ca. 75 % der pränatal diagnostizierten Nierenfehlbildungen fallen auf die angeborene Hydronephrose. Die Inzidenz liegt bei 1 : 200 bis 1 : 1.000 Geburten. Das Geschlechterverhältnis bei der ureteropelvinen Stenose beträgt zwischen männlich / weiblich 4 : 1. Bei der ureterovesikalen Stenose sind ebenfalls mehr männliche Neugeborene betroffen, genaue Zahlen liegen mit nicht vor. In ca. 70 % tritt die Hydronephrose unilateral auf (Entezami 2002).

Die angeborene Hydronephrose tritt überwiegend spontan auf, kann aber auch in Zusammenhang mit über 70 verschiedenen Syndromen stehen (Entezami 2002).

Bei der angeborenen Form ist mit > 60 % die linke Niere betroffen und bei bis zu 10 % sind es beide Nieren (Steinmüller2011)

Die erworbene Hydronephrose hat eine Inzidenz von 1 : 1.250. Das männliche Geschlecht ist doppelt so häufig betroffen (Steinmüller 2011).

Die Hydronephrose durch eine Ovarialvenenthrombose kommt mit einer Inzidenz von 1 : 3.000 Schwangerschaften vor (Manski 2019).

Ätiopathogenese

  • Angeborene Hydronephrose(Entezami 2002):
    • meistens spontan auftretend
    • eine teratogene Wirkung findet sich bei:
      • Diabetes mellitus
      • Benzodiazepinen 
      • Kokain
      • Thalidomid
  • Erworbene Hydronephrose:
    • im Rahmen anderer Erkrankungen wie z. B.:
      • Stenosierungen durch Vergrößerung der Prostata, Nephrolithiasis, Pyonephrose, intramurale Obstruktion, Tumoren im Bereich der ableitenden Harnwege
      • erworbene neurogene Blase 
      • renale Hypertonie (Häring 2011)
      • Pyelonephritis
      • Bilharziose (Herold 2021)
      • vesikoureteraler Reflux
      • Tuberkulose im Urogenitalbereich 
      • Ovarialvenenthrombose
      • Aortenaneurysma
      • ausgeprägter nephrogener Diabetes insipidus (Lentze 2014)
    • Z. n. Radiatio
    • iatrogen bei Operationen im Genitalbereich, Rektum etc.
    • extrauterine Schwangerschaft (Manski 2019)
  • durch Medikamente wie z. B.: 
    • Anticholinergika
    • Opiate
    • Alphamimetika (Kasper 2015)

Pathophysiologie

Die Pathophysiologie der Hydronephrose des Erwachsenen bzw. der erworbenen bei älteren Kindern unterscheidet sich grundsätzlich von der kongenitalen Form.

  • Kongenitale Hydronephrose:

Die glomeruläre und tubuläre Oberfläche der Niere beim Neugeborenen entspricht nur ca, 10 % der einer Erwachsenenniere, die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) liegt bei 20 % - 30 % des Wertes eines Erwachsenen. In den ersten 10 Lebenstagen nimmt die GFR rasch zu und liegt dann bei ca. 1 – 2 ml / kg KG / h. Der Erwachsenenwert wird erst im Alter von 2 Jahren erreicht.

Bei der kongenitalen Hydronephrose kommt es durch das Missverhältnis zwischen Harnproduktion und Abtransport zu einer Erweiterung des Nierenbeckens im Sinne einer Akkommodation. Durch Autoregulation passen sich die Nierendurchblutung und Urinproduktion den eingeschränkten Abflussmöglichkeiten an. Durch Abnahme der renalen Durchblutung und der GFR stellt sich ein Gleichgewicht zwischen Urinproduktion und Abfluss ein. 

Der Druck im Nierenbecken ist selbst bei länger anhaltender Dilatation i. d. R. nicht erhöht. Dazu kommt es erst nach einem Ungleichgewicht und damit entstehender Überdehnung. Die einsetzende Funktionsminderung der Niere muss nicht progredient sein (Steinmüller 2011).

  • Erworbene Hydronephrose:

Die Pathophysiologie der erworbenen Hydronephrose ist bislang nur teilweise geklärt. Eine im Tierexperiment durchgeführte unilaterale komplette Obstruktion führt zum Anstieg des intraluminalen und intranephronalen Drucks mit Dilatation der entsprechenden Nephronabschnitte. Die GFR sinkt innerhalb von 3 Wochen auf 16 %. 

Es kommt außerdem zu 

  • Anstieg des intrapelvinen Drucks
  • Hochregulierung des Renin- Angiotensin- Systems
  • der Gefäßwiderstand steigt
  • der renale Blutfluss nimmt ab (Kuhlmann 2015)

Anfänglich besteht ein Ödem des Interstitiums, später findet sich eine Fibrosierung des Interstitiums mit Vernarbung und Atrophie. Diese Veränderungen zeigen sich zunächst nur in den Papillen und dem Nierenmark, später auch im Nierenkortex.

Durch den Anstieg von Angiotensin- II wird eine Entzündungsreaktion unterstützt und es kommt zu einer Ansammlung von Fibroblasten. Dieser Prozess führt im Laufe der Zeit zu einem chronischen Nierenschaden (Kasper 2015).

Klinisches Bild

Die angeborene Hydronephrose ist normalerweise symptomlos (Steinmüller 2011).

Bei älteren Kindern bzw. bei Erwachsenen kann mitunter ebenfalls eine Symptomlosigkeit zu beobachten sein, so dass die Diagnose zufällig gestellt wird. 

In den übrigen Fällen können folgende Symptome bestehen:

Diagnostik

Bei einem sonographischen V. a. eine Hydronephrose sollte neben der Sonographie auch eine CT zur Klärung der Ätiologie erfolgen bzw. zur genauen Lokalisation der Obstruktion. Falls sich hierbei weitere Fragestellungen ergeben, wird eine retrograde oder antegrade Urographie empfohlen (Kasper 2015).

Bildgebung

Sonographie: Die Sonographie ist die primäre Diagnostik bei V. a. eine Hydronephrose. Hierbei finden sich:

  • zentral gelegene Aufhellung
  • radiär angeordnete ektatische Kelche
  • das Parenchym zwischen den Kelchen kann so dünn wie ein Septum erscheinen (Hofmann 2005) 

Bei der angeborenen Hydronephrose lässt sich bereits pränatal sonographisch als Erweiterung des Nierenbeckens gut darstellen (Entezami 2002).

Computertomographie: Eine CT ist diagnostisch aussagekräftig bei z. B. dem sonographischen V. a. eine Nephrolithiasis (hierbei zeigt sich – ohne Kontrastmittel - nicht nur der Aufstau wie in der Sonographie, sondern zusätzlich auch eventuell vorhandene Konkremente), tumorösen Veränderungen, Blutgerinnsel, retroperitonealer Fibrose, abgestoßenen Papillen etc. (Debus 2012).

Miktionszystourethrographie: Sollte der V. a. einen vesikoureteralen Reflux bestehen, empfiehlt sich die Miktionszystourethrographie mit Installation von Kontrastmitteln in die Blase und anschließender sonographischer Darstellung des Refluxes (Debus 2012).

Röntgen- Miktionszystourethrographie: Bei Jungen wird zum Nachweis von Anomalien der Harnröhre (insbesondere bei Harnröhrenklappen) die Röntgen- Miktionszystourethrographie empfohlen (Debus 2012).

Labor

Blutuntersuchung:

  • Erythropoetinspiegel durch lokalen O2 – Mangel oftmals erhöht (Herold 2021)
  • Erythrozytose (als Folge der erhöhten Ausschüttung von Erythropoetin (Kasper 2015)

Verdächtig auf eine Harnwegsobstruktion ist die Trias von:

  • Azotämie (durch Beeinträchtigung der Ausscheidungsfunktion der Nieren)
  • Hyperkaliämie
  • metabolischer Azidose (Kasper 2015)

Urinuntersuchung:

  • Urinsediment häufig unauffällig

Falls nicht, können vorhanden sein:

Differentialdiagnose

  • multizystische Niere
  • Polymegakalikose
  • retrokavaler Ureter
  • Obstruktion der Ureterklappen (Hegele 2015) 

Komplikation(en)

Sofern die Erweiterung der Harnwege nicht umgehend entsprechend therapiert wird, können sich nicht rückbildungsfähige Hydroureter oder Megaureter entwickeln. Im Bereich der Niere führt die Hydronephrose durch den Binnendruck im Nierenbecken zu:

  • Abplattung und Einbuchtung der Markpapillen
  • Druckatrophie der
    • Sammelrohre 
    • Tubuli
    • Nephrone
  • Verminderung der Durchblutung
  • Verschmälerung des Nierenparenchyms

(Häring 2011)

Therapie

Primäres Therapieziel einer Hydronephrose ist die Entlastung der ableitenden Harnwege.

Temporäre Entlastung kann erfolgen mit:

  • Double J- Kathetern
  • Pigtail- Katheter 
  • perkutaner Drainage des Nierenbeckens (sog. Nephrostoma)

Die kausale Therapie sollte sich unmittelbar daran anschließen. Diese kann – je nach Ätiologie - aus interventionellen oder chirurgischen Maßnahmen bestehen. Dabei sollte die Indikation zur Antibiotikagabe großzügig gestellt werden (Keller 2010).

Operative Therapie

Bei der angeborenen Hydronephrose ist in den überwiegenden Fällen (60 %) eine operative Behandlung (in Form einer Nierenbeckenplastik [Hegele 2015]) erforderlich (Entezami 2002).

 

Die Indikation für eine Nephrektomie kann gegeben sein bei:

  • Hydronephrose mit funktionsloser Niere (Manski 2019)
  • Hydronephrose mit anders nicht zu beherrschenden Symptomen (Geiger 2003) 

Verlauf/Prognose

  • Angeborene Hydronephrose:

Bei der angeborenen Form verschwinden von den pränatal diagnostizierten Hydronephrosen postnatal bis zu 40 % spontan. Operativ versorgte Kinder haben eine gute Prognose hinsichtlich der weiteren Nierenleistung (Entezami 2002).

  • Erworbene Hydronephrose:

Falls noch ausreichend gesunder Parenchymsaum vorhanden ist, kann sich die Nierenfunktion im Verlauf von Wochen wieder erholen. Eine in dieser Zeit auftretende überschießende Diurese mit Natriumverlust ist nicht selten und bedarf der entsprechenden medikamentösen Behandlung.

(Keller 2010)

 

Bereits nach 1 Woche kann eine komplette obstruktive Nephropathie zu irreversiblen Nierenschäden führen. Unter den Dialysepatienten sind 1 % mit ursächlicher obstruktiver Nephropathie (Kuhlmann 2015).

Den Endzustand bei einer unbehandelten oder zu spät behandelten Hydronephrose stellt die hydronephrotische Wassersackniere dar (Häring 2011).

Im Rahmen einer Pyelonephritis durch Obstruktion der Harnwege ausgelöste Hydronephrose kann zu einer pyelonephritischen Schrumpfniere führen (Herold 2021).

Literatur

  1. Coen A G (2006) Klappen der hinteren Harnröhre als Ursache von Miktionsbeschwerden im Schulkindalter. Von der Medizinischen Fakultät der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen zur Erlangung des akademischen Grades einer Doktorin der Medizin genehmigte Dissertation.
  2. Debus J et al. (2012) Duale Reihe Sonographie. Thieme Verlag 278 – 279 
  3. Entezami M (2002) Sonographische Fehlbildungsdiagnostik: Lehratlas der fetalen Ultraschalluntersuchung. Thieme Verlag 127 – 128 
  4. Geiger H et al. (2003) Nierenerkrankungen: Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Schattauer Verlag 444, 477
  5. Gembruch U et al. (2013) Ultraschalldiagnostik in Geburtshilfe und Gynäkologie. Springer Verlag 289 – 291
  6. Häring R et al. (2011) Lehrbuch Chirurgie mit Repetitorium. De Gruyter Verlag 736, 767
  7. Hegele A et al. (2015) Urologie: Intensivkurs zur Weiterbildung. Thieme Verlag 112, 381
  8. Herold G et al. (2021) Innere Medizin. Herold Verlag 31, 619, 912
  9. Hofmann V et al. (2005) Ultraschalldiagnostik in Pädiatrie und Kinderchirurgie: Lehrbuch und Atlas. Thieme Verlag 441
  10. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1871 - 1874
  11. Kasper D L et al. (2015) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 2304 - 2307
  12. Keller C K et al. (2010) Praxis der Nephrologie. Springer Verlag 70 – 73, 395
  13. Kuhlmann U et al. (2015) Nephrologie: Pathophysiologie - Klinik – Nierenersatzverfahren. Thieme Verlag 600 – 603
  14. Lentze M J (2014) Pädiatrie: Grundlagen und Praxis. Springer Verlag 585 - 588
  15. Manski D (2019) Das Urologielehrbuch. Dirk Manski Verlag 329 - 331
  16. Schäfer M et al. (2016) Hydronephrose und Blasenentleerungsstörungen: Diagnostik und Therapie im ersten Lebensjahr. Monatszeitschrift Kinderheilkunde (164) 875 - 882
  17. Steinmüller L et al. (2011) OP- Handbuch: Grundlagen, Instrumentarium, OP- Ablauf. Springer Verlag 631 - 633

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