Diabetes insipidus, nephrogener (renaler)E25.1

Autor:Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 20.08.2024

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Synonym(e)

Diabetes spurius; Nephrogener Diabetes insipidus; Renaler Diabetes insipidus; Wasserharnruhr

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Erstbeschreiber

Der niederländische Anatom Pieter Pauw (1564 – 1617) beschrieb im Jahre 1590 als Erster das Krankheitsbild eines Diabetes insipidus bei einem 18 jährigen Mädchen, welches im Verlauf der Erkrankung verstarb (Kivelä 1998).

Definition

Unter einem nephrogenen Diabetes insipidus (NDI) versteht man eine Erkrankung, bei der zwar ausreichend antidiuretisches Hormon (ADH = Arginin- Vasopressin [Steinbeck 2013]) produziert wird – im Gegensatz zum zentralen D.i. - , dieses aber seine Wirkung nicht entfalten kann (Striebel 2014).

Als Folge davon sind die Nieren nicht in ausreichendem Maße in der Lage, unter Wasserentzug einen konzentrierten Urin zu produzieren (Herold 2021).

Das Urinvolumen umfasst pro Tag > 50 ml / kg KG  (entspricht bei 70 kg > 3500 ml).

(Kasper 2015)

Einteilung

Der NDI stellt eine Form des Diabetes insipidus dar, zu dem außerdem noch gehören:

Der NDI wird nach Siegenthaler (2006) ätiologisch unterteilt in einen:

  • hereditären NDI
  • erworbenen NDI

Vorkommen/Epidemiologie

Der NDI zählt zu den selten auftretenden Erkrankungen und betrifft beide Geschlechter gleich häufig (Lehnert 2010). 

Der nephrogene D.I. ist – im Gegensatz zum zentralen D.I. – die seltener vorkommende Form (Herold 2021).

Die erworbene Form eines NDI ist weitaus häufiger als die kongenitale. Vom kongenitalen x- chromosomalen D.I. sind ausschließlich Jungen betroffen (Lehnert 2010).

Die häufigsten Ursachen für einen erworbenen NDI sind mit 30 % Hyperkalzämie, Hypokaliämie, Lithiumtherapie (Kuhlmann 2015).

Ätiopathogenese

Ursachen eines NDI können sein:

Hereditäre Formen durch genetische Veränderungen. Bei der angeborenen Form differenziert man zwischen 2 Varianten:

  • x- chromosomal- rezessive Form: bei ihr findet sich das mutierte Gen für den Vasopressin- Typ 2- Rezeptor auf Xq28
  • autosomal- rezessive Form: hierbei liegt ein defekter Wassertransportkanal (Aquaporin 2) des renalen Sammelrohres vor (Herold 2021).

Die hereditäre Form des NDI kann auch auftreten im Rahmen eines:

Erworbene Form. Ursachen eines erworbenen NDI können sein:

  • Nierenerkrankungen mit tubulärer Schädigung wie z. B. Analgetika- Nephropathie, familiäre Nierenzysten, obstruktive Nephropathie, fortgeschrittene Niereninsuffizienz etc. (Risler 2008), interstitielle Nephritis (Siegenthaler 2006)
  • metabolisch bedingt durch z. B. Hyperkalzämie, Hypokaliämie
  • medikamentös induziert durch z. B. Amphotericin, Colchicin, Lithiumcarbonat, Methoxyfluran, Propoxyphen, Tolazamid, Vinblastin (Risler 2008) oder Schleifendiuretika (Kuhlmann 2015)
  • folgende Erkrankungen: Amyloidose, Plasmozytom, SarkoidoseSichelzellanämie, Sjögren- Syndrom (Risler 2008)

Pathophysiologie

Pathophysiologisch kommt es beim NDI durch eine Destruktion oder einen Defekt der ADH- Rezeptoren zu einem fehlenden Ansprechen auf ADH im Bereich des distalen Tubulus (Herold 2021).

Klinisches Bild

Typisch für den NDI ist das klinische Trias von:

  • 1. Polydipsie
  • 2. Polyurie (bei 50 % der Patienten findet sich eine Ausscheidung von 4 – 8 l / d, bei 25 % > 12 l / d und in Einzelfällen bis zu 40 l / d [Siegenthaler 2006])
  • 3. Hypernatriämie

Außerdem können bestehen:

  • Tagesmüdigkeit (durch nächtliche Polyurie)
  • Einnässen (Kasper 2015)
  • Nykturie (fehlt diese, ist ein D.i. praktisch ausgeschlossen)
  • Asthenurie (fehlende Konzentrationsfähigkeit des Urins [Herold 2021])

Beim angeborenen NDI beginnt die Erkrankung zwar unmittelbar nach der Geburt, ist aber oftmals durch die noch unreife Nierenfunktion zunächst nicht als solche erkennbar. Die Polyurie setzt meistens erst nach der Neonatalzeit nach Zufuhr von Natrium und Proteinen ein (Lentze 2014)

Gerade beim angeborenen N.I. ist eine frühzeitige Diagnose wichtig, um schwere Dehydratationszustände und Hypernatriämien zu verhindern, da diese ansonsten zu schwerwiegenden Schäden führen können wie z. B.:

  • psychomotorische Entwicklungsstörungen
  • zerebrale Verkalkungen
  • Erbrechen
  • Diarrhoen bei Kindern < 2 Jahren (Herold 2021)
  • Fieberschübe
  • Gedeihstörungen
  • stark schwankendes Körpergewicht (Lentze 2014)

Bei einer ausgeprägten Polyurie können sich entwickeln:

  • Dilatation der ableitenden Harnwege
  • Hydronephrose
  • Megazystis  (Lentze 2014)

Diagnostik

Bei den o. g. Symptomen sollte zunächst eine Glukosurie ausgeschlossen werden (Kasper 2015).  Anschließend sind weitere diagnostische Maßnahmen erforderlich (s. u.).

Bildgebung

MRT

Der Hypophysenhinterlappen erscheint in der zerebralen MRT bei gesunden Erwachsenen und Kindern als ein hyperintenses Signal, als sog. „heller Fleck“. Dieser ist bei Patienten mit nephrogenem Diabetes insipidus verkleinert oder fehlt (Kasper 2015).

Labor

  • bei Wasserverlust finden sich:
    • Hypernatriämie (> 150 mmol / l)
    • Hyperchloridämie (> 110 mmol / l)
    • Anstieg von
      • Serumosmolalität (> 310 mosmol / kg)
      • Hämatokrit
      • Gesamt- Eiweiß
      • ggf. Harnstoff
      • ggf. Kreatinin(Kröner 2010) 
  • Urin- Osmolalität: Diese ist mit < 100 mosmol / l normal (im Gegensatz zum zentralen Diabetes insipidus, bei dem die Osmolalität erhöht ist [Kasper 2015]). 
  • spezifisches Gewicht < 1005
  • auch bei starker Dehydratation übersteigt die Urinosmolalität niemals die Serumosmolalität (typisches Symptom beim nephrogenen D.I.; Normwerte bei Gesunden 270 – 303 mosmol / l im Serum und 500 – 1170 mosmol / l im Urin [Striebel 2014])
  • bei adäquater Flüssigkeitszufuhr finden sich Normwerte für Serumnatrium (Lentze 2014)                               

 Messung von Copeptin: Die Messung von Copeptin ist am besten zur weiteren Differenzierung geeignet. Diese Untersuchungsmethode hat eine höhere Sensitivität und Spezifität als der bislang durchgeführte Durstversuch mit ADH- Messung.

Testdurchführung: Die Bestimmung von Copeptin sollte bei V. a. einen nephrogenen D.I. als Belastungstest mit hypertoner NaCl- Lösung erfolgen.

Belastungstest mit NaCl: Hierbei wird zunächst das Copeptin bestimmt, anschließend eine hypertone 3 %ige NaCl- Lösung infundiert und das Copeptin erneut gemessen. 

Testergebnisse die für einen NDI sprechen:

  • Urinosmolarität ist niedrig
  • Plasmaosmolarität steigt an
  • Copeptin i. S. steigt an

Der NaCl- Test ist mit 95 % zuverlässiger als der Dehydrierungs- Test (Herold 2021)

  • Dehydrierung: Der Copeptin - Spiegel wird nach 8 stündiger Dehydrierung morgens nüchtern gemessen.
  • Beim renalen Diabetes insipidus liegt der Wert > 20 pmol / l. (Kasper 2015)

ADH- Test: Der ADH- Test wird zur Differenzierung zwischen zentralem und nephrogenem D.I. angewandt. Nach ADH- Gabe steigt beim nephrogenen D.I. die Urinosmolalität nicht an und die Serumosmolalität nimmt nicht ab (Kröner 2010).

Differentialdiagnose

  • zentraler Diabetes insipidus
  • primäre Polydipsie (s. Diabetes insipidus)
  • Diabetes mellitus (hierbei besteht eine osmotische Diurese)
  • Diuretika- Missbrauch
  • hyperkalzämische Krise
  • Mundtrockenheit (durch Medikamente wie z. B. Anticholinergika indiziert)
  • chronische Niereninsuffizienz
  • interstitielle Nephritis
  • vesikoureteraler Reflux
  • obstruktive Uropathien
  • Lithiumtherapie
  • Hypokaliämie
  • Hyperkalziämie (Kröner 2010)

Therapie

Die kausale Therapie des NDI besteht in Behandlung der auslösenden Ursache. Symptomatisch können versuchsweise Thiaziddiuretika oder NSAR eingesetzt werden (Herold 2021). Diese verbessern die Polyurie und Polydipsie um 30 % - 70 % (Kasper 2015).

Desmopressin ist beim NDI wirkungslos (Kasper 2015).

 

 

Verlauf/Prognose

Bei einem erworbenen NDI ist die Prognose abhängig von der Grunderkrankung.

Bei Kindern hängt die Prognose sehr davon ab, ob es in den ersten Lebensjahren möglich war, den Wasserhaushalt ohne Dehydratation und ohne starke Exsikkose mit extremer Hypernatriämie aufrecht zu erhalten. Wenn das der Fall sein sollte, ist die Prognose unter lebenslanger Therapie gut (Lentze 2014). 

Literatur

  1. Bichet D G (2020) Genetics in endocrinology: Pathophysiology, diagnosis and treatment of familial nephrogenic diabetes insipidus. European Journal of Endocrinology 183 (2) R29 - R40
  2. Bockenhauer D et al. (2017) Nephrogenic diabetes insipidus. Current Opinion in Pediatrics 29 (2) 199 - 205
  3. Hegele A et al. (2015) Urologie: Intensivkurs zur Weiterbildung. Thieme Verlag
  4. Herold G et al. (2021) Innere Medizin. Herold Verlag 803 - 804 
  5. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 64e – 3, 304, 2275 - 2279
  6. Kasper D L et al. (2015) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 2796 - 2799
  7. Kivelä T et al. (1998) Diabetes insipidus and blindness caused by a suprasellar tumor: Pieter Pauw's observations from the 16th century. JAMA 279 (1) 48 – 50 
  8. Kröner C et al. (2010) Basiswissen Pädiatrie. Springer Verlag 317
  9. Kuhlmann U et al. (2015) Nephrologie: Pathophysiologie - Klinik – Nierenersatzverfahren. Thieme Verlag 263 – 265
  10. Lehnert H et al. (2010) Rationelle Diagnostik und Therapie in Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel 48 – 50
  11. Lentze M J (2014) Pädiatrie: Grundlagen und Praxis. Springer Verlag 585 - 588
  12. Risler T et al. (2008) Facharzt Nephrologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag 153 – 155, 381 – 385, 752
  13. Siegenthaler W et al. (2006) Klinische Pathophysiologie. Thieme Verlag 260 - 262
  14. Steinbeck G et al. (2013) Therapie Innerer Krankheiten. Springer Verlag 773 - 774
  15. Striebel H W (2014) Operative Intensivmedizin: Sicherheit in der klinischen Praxis. Schattauer Verlag 154

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