Otitis externa (infectiosa)H60.-; H60.1 (Phlegmone des Gehörganges); H60.3(Badeotitis);
Synonym(e)
Definition
Akute oder chronische mikrobiell induzierte, diffuse oder zirkumskripte Entzündung der Kutis und Subkutis des äußeren Gehörgangs, wobei das Trommelfell und die Ohrmuschel mitbetroffen sein können. Die Otitis externa (OE) ist eine der häufigsten Erkrankungen in der HNO-Praxis, ist aber auch für Allgemeinmediziner, Pädiater und Dermatologen von praktischer Relevanz. Die unterschiedlichen Ausprägungen reichen von der leichten Entzündung des äußeren Gehörgangs bis zum lebensbedrohlichen Krankheitsbild der Otitis externa maligna.
Prädisponierend wirken Seifen-, Haarspray- und Haarwaschmittelreste im äußeren Gehörgang; weiterhin medizinische Externa (Chloramphenicol- oder Neomycin-haltige Ohrentropfen); Ohrpassstücke von Hörgeräten.
Bemerkung: Die ICD-10-GM-2020 Systematik bezeichnet mit ICD H60.5 die „akute Otitis externa, nichtinfektiös". Hierunter wird die Otitis externa durch chemische Substanzen, durch Strahlung, die „ekzematöse“ Otitis externa und die akute reaktive Otitis externa verstanden.
Einteilung
Unterschieden wird:
- Otitis externa diffusa (= Entzündung von Kutis und Subkutis des Gehörgangs)
- Otitis externa circumscripta (= Gehörgangsfurunkel bzw. Staphylokokkeninfektion der Haarbälge).
- Chronische OE (COE)
- die OE maligna (necroticans) (OEM) (meist durch Pseudomonas aeruginosa ausgelöst)
Ätiopathogenese
Der äußere Gehörgang besteht aus einem lateralen knorpeligen und medialen knöchernen Teil von insgesamt ca. 2–3,5 cm Länge und einem Durchmesser von 5–9 mm. Während die Haut des knöchernen Gehörgangs fest mit dem Periost verwachsen ist, liegt die Haut des knorpeligen Gehörgangs auf einer Bindegewebsschicht. Sie enthält Haarfollikel, Talgdrüsen und apokrine Knäueldrüsen, deren Exsudate zusammen mit abgeschilferten Epithelien das Cerumen bilden. Der knorpelige Gehörgang hat ein bindegewebiges Dach und am Boden die bindegewebigen Santorini-Spalten, über die sich Infektionen in die Ohrspeicheldrüse, Fossa infratemporalis und Schädelbasis ausdehnen können. Die sensible Versorgung erfolgt über den N. auriculotemporalis, R. auricularis N. vagi, N. auricularis magnus sowie N. auricularis posterior. Physiologisch besiedelt ist der äußere Gehörgang von Bakterien, v.a. Staphylococcus- und Corynebacterium-Spezies sowie Streptokokken (Stroman DW et al. 2001). Der physiologische pH-Wert des Gehörgangs liegt bei 5–5,7. Durch das saure Milieu und die hydrophoben Eigenschaften des Cerumens wird das Bakterienwachstum gehemmt (Neher A et al. 2008).
Klinisches Bild
Bei der akuten diffusen Otitis media weist der Gehörgang eine schmerzende, rote Schwellung auf. Der Schmerz verstärkt sich bei Druck auf den Tragus.
Trockene Form: Die trockene Form der diffusen Otitis externa ("Gehörgangsdermatitis") imponiert durch die Schuppenbildung und durch Pruritus. Bei der nässenden Form werden schmierige fötide Sekrete aus dem Gehörgang abgesondert. Eine schleimige Sekretion spricht für eine gleichzeitig ablaufende Mittelohrabsonderung.
Die sehr und gefürchtete Verlaufsform, die Otitis externa maligna, wird meist durch Pseudomonas aeruginosa ausgelöst und betrifft hauptsächlich schlecht eingestellte Patienten mit Diabetes mellitus oder Patienten mit Immunsuppression. Diese komplikative Verlaufsform kann früh zum Ausfall von Hirnnerven führen (meist Nervus facialis), auf den Knochen übergreifen und potenziell tödlich verlaufen.
Differentialdiagnose
Abzugrenzen sind:
- Akute Otitis externa, nichtinfektiös (H60.5): durch chemische Substanzen, durch Strahlung, die „ekzematöse“ Otitis externa (Gehörgangsdermatitis) und die akute reaktive Otitis externa
- Perichondritis
- Erysipel
- Otomykose
- Zoster oticus
- Otitis media (mit Perforation)
- Gehörgangscholesteatom
- Gehörgangskarzinom.
Komplikation(en)
Ein Übergang der Entzündung auf das Trommelfell (Myringitis) und/oder das äußere Ohr (Erysipel) ist möglich. Bei Trommelfellperforation müssen ototoxische Substanzen vermieden werden.
Therapie
Die Therapie der akuten Otitis externa besteht in der Schmerztherapie, Reinigung des Gehörgangs sowie Behandlung mit antiseptischen und antimikrobiellen Substanzen. Bewährt haben sich lokale Antibiotika- und Kortikoidzubereitungen, obgleich randomisierte kontrollierte Studien mit hohen Patientenzahlen ausstehen.
Externe Therapie
Extern: Bei unkomplizierter AOE werden topische Therapeutika (Antiseptika, Antibiotika, Glukokortikoide und Kombinationen aus diesen Präparaten) aufgrund ihrer therapeutischen Sicherheit, Wirksamkeit empfohlen (Kaushik V et al. (2010). 65–90 % der Patienten haben nach 7–10 Tagen eine klinische Verbesserung. Die additive Gabe topischer Steroide kann zu einer deutlichen Reduktion der Rötung und Sekretion führen.
Verschiedene topische Antiseptika wurden zur Therapie der AOE beschrieben, hierzu gehören Essigsäure, Chlorhexidin, Aluminiumacetat, Silbernitrat, N-Chlortaurin. Der Vorteil topischer Antiseptika ist ihre breite Wirksamkeit. Viele Präparate enthalten Alkohol, der desinfizierend wirkt und in hoher Konzentration dem Gewebe Wasser entzieht, was abschwellend wirkt. Die Absenkung des pH-Wertes durch saure Präparate (z.B. 2% Essigsäure) führt zur Hemmung des Bakterienwachstums, da die meisten Bakterien einen neutralen pH-Wert bevorzugen. Dadurch zeigt sich eine schnellere Ausheilung im Vergleich zu Placebo. Essigsäure zeigt eine vergleichbare Wirksamkeit mit Antibiotika/Kortikoid-Tropfen nach 7 Tagen Therapiedauer, bei Notwendigkeit der Behandlung über 2–3 Wochen sind Essigsäure-Präparate jedoch signifikant weniger wirksam (Kaushik V et al. (2010)
Topische Antibiotika: Die topische Antibiotikatherapie sollte die häufigsten Erreger Pseudomonas aeruginosa und Staphylococcus aureus erfassen und möglichst nach Antibiogramm gezielt durchgeführt werden. Empfehlenswert sind Ohrentropfen mit Chinolon-Antibiotika, Ciprofloxacin, Aminoglykoside- (Neomycin und Polymyxin B).
Chinolone sind sehr wirksam, ohne eine lokale Reizung zu verursachen; die erhöhte Exposition kann jedoch zu Resistenzen gegen diese wichtige Antibiotikaklasse führen. Neomycin ist effektiv jedoch ototoxisch und sollte daher nur bei intaktem Trommelfell (!) angewendet werden (Cave: Sensibilisierungen). Polymyxin allein besitzt keine Aktivität gegen Staphylokokken und andere grampositive Mikroorganismen. Weiterhin können die Antibiotika Ciprofloxacin oder Ofloxacin in topischer Form gegeben werden.
Systemische (orale) Antibiotika: Trotz der gut belegten Sicherheit und Wirksamkeit von topischen Präparaten erhalten etwa 20–40 % der aufgrund einer AOE behandelten Patienten primär eine systemische Antibiotikatherapie. Dies ist bei der unkomplizierten AOE nicht notwendig. Eine gezielte orale Antibiotikatherapie (je nach Resistogramm) ist bei der AOE bei Vorliegen eines schlecht kontrollierten Diabetes mellitus, einer Immunsuppression oder bei Ausdehnung der Entzündung über den Gehörgang hinaus indiziert.
Topische Kortikoide: Externkortikoide werden vor allem wegen ihrer abschwellenden Eigenschaften verwendet, ein antibakterieller und antifungaler Effekt wurde beschrieben; die Evidenz für eine Monotherapie mit topischen Kortikoiden ist gering.
Topische Kortikoid-Antibiotika-Kombinationen: In einzelnen randomisiert-kontrollierten Studien zeigte sich im Vergleich zu reinen Antibiotikapräparaten eine geringere Schwellung, Rötung und Sekretion des Gehörganges; der Effekt zeigte sich bereits in den ersten Tagen nach Therapiebeginn.
Antimykotische Therapie: Bei nachgewiesener Pilzinfektion sollte die Einlage von Antimykotika-getränkten Streifen erfolgen (Ciclopirox, Nystatin, Clotrimazol oder Miconazol). Wegen möglicher Innenohrtoxizität und geringerer Wirkung werden Farbstofflösungen nicht mehr empfohlen (23). Bei Trommelfellperforationen sollte eine systemische antimykotische Therapie z.B. mit Fluconazol oder Itraconazol erfolgen.
Zur Schmerztherapie können auch topische Lokalanästhetika eingesetzt werden; nicht jedoch bei Trommelfellperforation oder einliegendem Paukenröhrchen. Da sie ein Fortschreiten der Erkrankung maskieren können, sollte eine klinische Kontrolle zur Beurteilung des Therapieansprechens nach 48 Stunden erfolgen.
Interne Therapie
Schmerztherapie: Die Schmerzlinderung ist ein wesentlicher additiver Bestandteil der Therapie der AOE. Da das hoch sensible Periost des knöchernen Gehörgangs bei Entzündungen meist mitbeteiligt ist, können starke Ohrenschmerzen auftreten. Geeignete Analgetika sind Ibuprofen oder Paracetamol.
Verlauf/Prognose
Wichtig ist die Instruktion des Patienten hinsichtlich der Applikation der Topika. Die Patienten sollten sich auf die Gegenseite legen, die Tropfen in den Gehörgang applizieren und danach 3–5 Minuten auf der Seite liegen bleiben. Eine Hin- und Herbewegung des Ohres hilft dabei, die Tropfen gezielt an ihren Bestimmungsort zu transportieren. Je nach Präparat sollte die Applikation der Tropfen 2–5 × täglich erfolgen. Nach topischer Therapie ist die AOE bei 65–90 % der Patienten unabhängig vom gewähltem Therapeutikum nach 7–10 Tagen ausgeheilt.
Prophylaxe
Der Therapieerfolgt sollte nach 48–72 Stunden überprüft werden. Zur Prophylaxe erneuter Entzündungsepisoden sollten bekannte Risikofaktoren gemieden werden. Der Gehörgang sollte trocken gehalten und nach Eindringen von Wasser (z.B. nach Besuch eines Schwimmbades = Badeotitis H60.3) mit dem Fön getrocknet werden. Bei gestörter Selbstreinigung des Gehörgangs sollte vor Badeurlauben eine Gehörgangsreinigung erfolgen.
Hinweis(e)
Die früher zur lokalen antiseptischen und austrocknenden Behandlung verschiedener Erkrankungen des äußeren Gehörganges beliebten Farbstoffe, wie Gentianaviolett, Brillantgrün, Eosin oder Fuchsin, sind wegen ihrer toxischen Eigenschaften nicht mehr zugelassen.
Literatur
- Fischer M et al. (2015) Die akute Otitis externa und ihre Differenzialdiagnosen. Laryngorhinootologie. 94:113-125
- Kaushik V et al. (2010) Interventions for acute otitis externa. Cochrane Database Syst Rev: CD004740
- Mösges R et al. (2011) A meta-analysis of the efficacy of quinolone containing otics in comparison to antibiotic-steroid combination drugs in the local treatment of otitis externa. Curr Med Res Opin 27: 2053–60
- Neher A et al. (2008) Otitis externa. HNO 56: 1067–80
- Rosenfeld RM et al. (2014) Clinical practice guideline: acute otitis externa. Otolaryngol Head Neck Surg 150(1 Suppl):S1-S24.Schaefer P et al (2012) Acute otitis externa: an update. Am Fam Physician 86:1055-1061.
- Slengerik-Hansen J et al. (2018) Acute external otitis as debut of acute myeloid leukemia - A case and review of the literature. Int J Pediatr Otorhinolaryngol 106:110-112.
- Stroman DW et al.(2001) Microbiology of normal external auditory canal. Laryngoscope 111: 2054–9
- Wipperman J (2014) Otitis externa. Prim Care 41(1):1-9.