Oraler Lichen ruberL43.8

Zuletzt aktualisiert am: 23.08.2024

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Synonym(e)

Erosiver Lichen ruber der Schleimhaut; Lichen planus der Mundschleimhaut; Lichen ruber der Mundschleimhaut; OLL; Orale lichenoide Läsion; Oraler Lichen planus; Schleimhautlichen

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Definition

Der orale Lichen ruber ist eine T-Zell-vermittelte Immunreaktion unbekannten Ursprungs (Payeras MR et al. 2013), bei der auto-zytotoxischen CD8+ T-Zellen einerseits die Apoptose der Basalzellen des oralen Epithels andererseits eine inflammatorische Reaktion induzieren (Eversole LR 1997; Brănişteanu DE et al.2016). Der orale Lichen ruber tritt meist als Teilmanifestation eines klassischen Lichen ruber auf (bei etwa 30% der Fälle), seltener als lokalisierte Form ohne Hautbeteiligung.  

Ätiopathogenese

Die Ätiopathogenese ist weiterhin ungeklärt. Aulösende Faktoren sind Knochenmarktransplantationen, diverse Medikamente (s.u. Lichen ruber), Zahnersatzmaterialien, Hepatitis-C u.a. (Montebugnoli L et al. 2012; Powell FC 1983).

Pathophysiologie

Der Mechanismus der zellvermittelten immunologischen Reaktion beginnt mit einer Antigenexpression in den Keratinozyten. Diesem Prozess folgt die Migration von T-Zell-Lymphozyten, die direkt durch eine Antigenbindung an den Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC)-1 auf den Keratinozyten oder durch aktivierte CD4+-Lymphozyten In Gang gesetzt wird (Zhou XJ et al. (2002). Aktivierte CD8+ T-Zellen attackieren wiederum die basalen Keratinozyten durch Tumor-Nekrose-Faktor (TNF)-alpha, Fas-FasL- oder Granzym B- vermittelte Apoptose (Sugerman PB et al. (2000).

Lokalisation

Der orale Lichen ruber tritt mit unterschiedlichen klinischen Formen auf, in der Regel bilateral symmetrisch, seltener unilateral, mit Beteiligung der bukkalen Mundschleimhaut, der dorsalen und ventralen Oberflächen der Zunge und/oder der Gingiva. Eine palatinale und labiale Lokalisation ist eher selten.

Klinisches Bild

Folgende, klinisch orientierte Einteilung bietet sich an:

Typ I (weißer Papel- oder Plaque-Typ): Meist streifige, punktierte, anuläre, netzförmige auch flächige weißliche Papeln oder Plaques, die insbes. retroangulär und im Bereich der gesamten Zahnschlussleiste (Köbner-Phänomen) zu großflächigen opalen Plaques konfluieren können. Seltener ist ein klein-papulöser Schleimhauttyp. Nicht immer sind unterliegende Erytheme (der Lichen-planus-Inflammation) sichtbar (Abdeckphänomen der überlagernden orthokeratotischen Schleimhautverhornung) gefunden. Die Veränderungen sind meist nicht schmerzhaft. Das Lippenrot kann mitbetroffen, aber auch isoliert befallen sein. Gelegentlich entstehen bräunliche Hyperpigmentierungen. Die Zunge kann sowohl durch flächenhafte opale Plaques betroffen sein, die erst bei seitlicher Sicht besser erkennbar sind. Parallel dazu kann eine Vergröberung des Oberflächenreliefs beobachtet werden (als Ausdruck der diffusen lichenoiden Entzündung). Einige Patienten (etwa 1%) geben Geschmacksstörungen an.

Typ II (roter oder erosiver Typ ): zweithäufigste Manifestationsform des Lichen ruber mucosae (s.u. Lichen ruber erosivus mucosae). Hierbei imponieren schmerzhafte (v.a. bei Aufnahme von säurehaltigen Speisen oder Getränken) flächige unscharf begrenzte Erytheme, Erosionen oder flächige Ulzera. Das klinische Leitsymptom bei dem erosiven Typ ist der "Schmerz", der sich prompt v.a. bei Diätfehlern einstellt. Der erosive Lichen ruber hat mit 0,5-2,0% ein deutliches Risiko zur malignen Transformation. Selten ist eine bullöse Variante nachweisbar.  

Typ I/Typ II in unterschiedlichen Mischformen.

Histologie

Band- oder fleckförmiges, meist lymphozytäres Infiltrat in der Lamina propria, das auf die Grenzfläche zwischen Epithel und Lamina propria begrenzt ist, eine basalzellverflüssigende (hydropische) Degeneration, eine lymphozytäre Exozytose, ohne epitheliale Dysplasie oder eine verruköse epitheliale Architekturveränderung.

Diagnose

Die Diagnose des oralen Lichen ruber oder der oralen lichenoiden Läsion ist eine klinische Diagnose. Die Diagnosekriterien wurden 1978 von der WHO eingeführt (WHO Collaborating Centre for Oral Precancerous Lesions 1978) und 2003 von van der Meij und van der Waal modifiziert (van der Meij EH et al. 2003). Im Jahr 2016 schlug die American Academy of Oral and Maxillofacial Pathology (Kamath VV et al. 2015) neue klinische und histopathologische Kriterien vor.

Bei klinischen Zweifel (v.a. zum Ausschluss von Malignität) ist eine histopathologische Untersuchung notwendig.

Therapie

Zur Beseitigung von Akutschmerzen kann 2% Lidocain-Gel aufgetragen werden.

  • Topische Kortikoidexterna: In den im Jahre 2005 veröffentlichten Konsensleitlinien wurden topische Kortikoidexterna als Erstbehandlung empfohlen. Je nach Schweregrad der Läsionen und der persönlichen Erfahrung der Ärzte können die verfügbaren Medikamente wie folgt angewendet werden:
  • Lösliche Prednisolontabletten, Mundspülung 3 oder 4x in 24 Stunden (5 mg in 15 ml Wasser aufgelöst).
  • Alternativ:.Betamethasontabletten (500 mg) in 10-15 ml Wasser aufgelöst, zur Mundspülung bis zu 4 x/Tag.
  • Alternativ: Beclometasondipropionat, Fluticasonpropionat, Dosierinhalatoren, als Mundspray verwenden und bis zu 3-4 x/Tag auf die Läsionen auftragen (Lodi G et al. 2005).
  • Alternativ: haben sich Kortikosteroid-haltige Nasensprays bewährt, die direkt auf die Läsionen aufgesprüht werden können  (z.B. Triamcinolonacetonid-Nasenspray).
  • Alternatitv: Clobetasol-Salbe (0,05%) 3-4x/Tag läsional auftragen.
  • Alternativ: Fluticason-Creme (0,05%) 3-4x/Tag läsional auftragen. (Tyldesley WR et al. 1997).
  • Bemerkung: Einer der Hauptnachteile der topischen Kortikosteroide besteht darin, dass sie nur zeitlich begrenzt auf der Schleimhaut haften.
  • Alternativ: In Anbetracht dessen wurden topische Steroide wie Betamethasonvalerat, Clobetasol, Fluocinolonacetonid, Fluocinonid und Triamcinolonacetonid auch in Haftpastenformeln auf der Basis von Carboxymethylzellulose/Hydrophobes Basisgel mit Paraffinum subliquidum (z.B. Triamcinolonacetonid-Haftpaste NRF 7.10.) eingearbeitet. Damit kann eine längere topische Verweildauer erzielt werden.
  • Alternativ: Applikation von systemischen Steroiden, ggfl. in Kombination mit Immunsuppressiva ( Carbone M et al. 2003).

Verlauf/Prognose

Der Orale Lichen ruber ist eine eminent chronische Erkrankung mit schubweisem Verlauf. Die Krankheitsaktivität kann bei jedem Patienten schwanken (Potts AJ et al. 1987). Ziele der Behandlung sind die Beseitigung der schmerzhaften Symptome, die Beseitigung ulzerativer Läsionen, die Verlängerung symptomfreier Perioden. Voraussetzung hierzu ist eine gute Mundhygiene und eines guten Zahnstatus (Rotim Z et al. 2015). Weiterhin sind diätetische Maßnahmen unumgänglich: Vermeidung aller scharfen, salzigen, sauren oder würzigen Speisen. Vermeidung  von Rauchen und Alkoholkonsum. Ein potenziell erhöhte Mundkrebsrisiko ist bei Rauchern anzunehmen. Auch bei erosiven und atrophischen Läsionen, sowie bei jahrelangem Bestand des oralen Lichen ruber scheint das lokale Karzinomrisiko gesteigert zu sein (Ostman PO et al. 1996).

Hinweis(e)

Als "orale lichenoide Reaktion" wird ein Lichen ruber mucosae beschrieben, der in unmittelbarer Nachbarschaft zu Amalgamfüllungen an der bukkalen Wangenschleimhaut, der Zunge oder Gingiva auftritt. Einige Autoren postulieren eine eigenständige Entität (s.u. Hinweise).

Gingiva: Bei Befall der Gingiva imponiert eine chronisch erosive Gingivitis. Der "leukoplakische" Aspekt fehlt hierbei häufig. Neben flächigen, stattroten Erythemen finden sich flächige, äußerst schmerzhafte Erosionen, die v.a. bei Genuss von säurehaltigen Speisen oder Säften (z.B. Orangensaft) symptomatisch werden.

Literatur

  1. Brănişteanu DE et al.(2016) Histopathological and clinical traps in lichen sclerosus: A case report. Rom J Morphol Embryol. 57 (Suppl 2): 817–S823.
  2. Canto AM et al. (2010) Oral lichen planus (OLP): Clinical and complementary diagnosis. An Bras Dermatol. 85:669–675.
  3. Eversole LR (1997) Immunopathogenesis of oral lichen planus and recurrent aphthous stomatitis. Semin Cutan Med Surg. 16:284–294.
  4. Kamath VV et al. (2015) Oral lichenoid lesions - a review and update. Indian J Dermatol. 60
  5. Lodi G et al. (2005) Current controversies in oral lichen planus: Report of an international consensus meeting. Part 2. Clinical management and malignant transformation. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 100:164–178.
  6. Montebugnoli L et al. (2012) Clinical and histologic healing of lichenoid oral lesions following amalgam removal: A prospective study. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol. 113:766–772.
  7. Payeras MR et al.(2013) Oral lichen planus: Focus on etiopathogenesis. Arch Oral Biol. 58:1057–1069.
  8. Potts AJ et al. (1987) The medication of patients with oral lichen planus and the association of nonsteroidal anti-inflammatory drugs with erosive lesions. Oral Surg Oral Med Oral Pathol. 64:541–543.
  9. Powell FC (1983) Primary biliary cirrhosis and lichen planus. J Am Acad Dermatol. 9:540–545.
  10. Rotim Z et al. (2015) Oral lichen planus and oral lichenoid reaction - an update. Acta Clin Croat. 54:516–520.
  11. Rotaru D et al. (2020) Treatment trends in oral lichen planus and oral lichenoid lesions (Review). Exp Ther Med 20:198.
  12. Srinivas K et al. (2011) Oral lichen planus - review on etiopathogenesis. Natl J Maxillofac Surg. 2:15–16.
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  17. WHO Collaborating Centre for Oral Precancerous Lesions (1978). Definition on leukoplakia and related lesions: An aid to studies on oral precancer. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod. 46:518–539.
  18. Zhou XJ et al. (2002) Intra-epithelial CD8+ T cells and basement membrane disruption in oral lichen planus. J Oral Pathol Med. 31:23–27.

Zuletzt aktualisiert am: 23.08.2024