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Neurofibromatose periphereQ85.0
Synonym(e)
Definition
Hereditäre, autosomal-dominant vererbte, auch durch Spontanmutation hervorgerufene, neuroektodermale Systemerkrankung.
Vorkommen/Epidemiologie
Prävalenz 1:2.500/3.500; geringe Androtropie
Ätiopathogenese
Autosomal-dominanter Erbgang. Mutation des Genlocus q11.2 auf dem Chromosom 17. Dieser NF1-Genlokus umfasst drei Gene: OMPG (kodiert für ein membrangebundenes Glykoprotein des Oligodendrozyten-Myelins), EVI2A und EVI2B (kodieren für virale Insertionssequenzen).
Das NF1-Peptid zeigt Sequenz-Homologien mit dem GTPase-aktivierenden Protein (GAP) und stimuliert die GTPase-Aktivität von Ras.
Wenn GTPasen aktiviert werden, hydrolysieren sie GTP zu GDP und sind als solche nicht mehr in der Lage, ihren Effektor zu stimulieren. Defekte GAPs können ein mitogenes Signal nicht mehr abschalten, die Zellen proliferieren unkontrolliert.
Manifestation
Das Auftreten von Café-au-lait-Flecken ist ab Geburt möglich, meist jedoch in den ersten Lebensmonaten bis zum 2. Lebensjahr. Dermale Neurofibrome entwickeln sich erst später zwischen dem 10 und 16 Lebensjahr.
Klinisches Bild
- Pigmentflecken:
- Café-au-lait-Flecken (> 95% der Fälle): etwa 80% der Pat. weisen > 6 Café-au-lait-Flecken auf. Dieses Symptom kann aber ebenfalls bei 10% der nicht betroffenen Bevölkerung auftreten.
- Axillary freckling (etwa 90% der Pat.; = Crowe-Zeichen); Pigmentierungen der Mundschleimhaut.
- Naevi: Melanozytäre Naevi (Vorkommen geringer als bei der durchschnittlichen Bevölkerung)
- Weiterhin möglich ist das Auftreten von Hämangiomen, Lymphangiomen, Lentigines und Naevi spili
- Bei >50% der Patienten mit Neurofibromatose Typ I wird ein N. anaemicus gefunden gfls. selten zusammen mit einem juvenilen Xanthogranulom (JXG).
- Das JXG tritt überdurchschnittlich häufig (in rund 3% der Fälle) zusammen mit der der TypI-Neurofibromatose (NF1) auf (Miraglia E et al. 2022).
- Einzelne oder zahlreiche, erbsgroße oder monströse, hautfarbene bis bläuliche, breit oder gestielt aufsitzende Papeln oder Knoten (Neurofibrome), evtl. mit Faltenbildung oder als wammenartige Gebilde, Cutis laxa.
- Klingelknopfphänomen: Hernienartig durch die Haut hervorragende, subkutane Tumoren lassen sich mit einem Finger zurückschieben.
- Daneben finden sich auch tiefer gelegene, häufig druckdolente, subkutane Neurofibrome als derb tastbare Knoten.
- Neurologie: Tumoren des ZNS und neurologische Symptome treten bei der NF-1 als ernstzunehmende Probleme auf. Vor allem Tumoren der Hirnnerven können chirurgische Interventionen notwendig machen. Akustikus- und Trigeminus-Schwannome verursachen besonders Hörverlust aber auch Schmerzen. Optikus-Gliome können einseitige Blindheit; Tumore der Spinalwurzeln können Lähmungen und Schmerzen verursachen.
- Augen: Meist Exophthalmus und Lisch-Knötchen.
- Lisch-Knötchen (Irishamartome): Kleine, rundliche, scharf begrenzte und leicht erhabene Veränderungen in der Regenbogenhaut. Sie haben einen hellen, gelblich bis bräunlichen Farbton. Sie gelten als wichtiges diagnostisches Kriterium bei peripherer Neurofibromatose und treten bei nahezu allen Patienten mit Neurofibromatose Typ I (> 20 Jahre) auf. Bei NFII, NFIII und NFIV kommen sie nicht vor.
- Skelett: Veränderungen treten bei 1/3 der Patienten als Verdickungen und Verlängerungen an den Röhrenknochen, Kyphoskoliosen (Fehlentwicklung der Wirbelkörper), Knochenzysten, pathologischen Frakturen und habituellen Luxationen auf. Weiterhin: Minderwuchs und Schädeldeformierungen.
- Alle anderen Tumoren (spinale und periphere Neurofibrome, Schwannome der peripheren Nerven etc.) finden sich bei weniger als 5% der Patienten. Etwa ein Drittel der Patienten hat darüber hinaus unspezifische Symptome wie Schulprobleme (30%), Minderwuchs (15%), Makrozephalie (25%) und Skoliosen (30%). Pseudoarthrosen und Epilepsien treten bei weniger als 5% der Patienten auf. Ein Teil der Patienten entwickelt ein Phäochromozytom.
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Merke! Zu den diagnostischen Kriterien zählen die Symptome, die der allergrößte Teil der Patienten im Laufe der Erkrankung bekommt. Es entwickeln aber nicht alle Patienten alle diese Symptome, sondern lediglich eine mehr oder weniger zufällige Kombination daraus. Ärzte treffen eine statistisch geschickte Auswahl von Durchschnittssymptomen und benutzen diese als diagnostische Kriterien, um vorherzusagen, ob ein Mensch die jeweilige Krankheit hat.
Diagnostik
Molekulargenetischer Nachweis der NF1-Mutation. Der Nachweis von Mutationen ist aufgrund der Größe des NF1-Gens, des Vorhandenseins von Pseudogenen und der großen Vielfalt an Mutationen äußerst komplex (Ko JM et al. 2013). So zeigten sich in einer großen koreanischen NF1-Population in 60 Familien 52 verschiedene NF1-Mutationen identifiziert. Zu den Mutationen gehörten 30 einzelne Basensubstitutionen (12 Missense- und 18 Nonsense-Mutationen), 11 Missplicing-Mutationen, sieben kleine Insertionen oder Deletionen und vier große Deletionen. 16 (30,8 %) Mutationen waren neu; c.1A>G, c.2033_2034insC, c.2540T>C, c.4537C>T, c.5546G>A, c.6792C>A und c.6792C>G wurden immer wieder identifiziert. Die Mutationen waren gleichmäßig über Exon 1 bis Intron 47 von NF1 verteilt. Es wurden keine Mutations-Hotspots gefunden. Eine Genotyp-Phänotyp-Analyse deutet darauf hin, dass es keine klare Beziehung zwischen spezifischen Mutationen und klinischen Merkmalen gibt (Ko JM et al. 2013).
Histologie
Diagnose
Mindestens zwei der Hauptkriterien sollten erfüllt sein (Karaconji T et al. 2019):
- mindestens 6 Pigmentflecken in Form von milchkaffeefarbenen Flecken (Café-au-lait-Flecken) von mindestens 5 mm Größe
- mindestens 2 kutane Neurofibrome oder ein plexiformes Neurofibrom
- Sommersprossen (Freckling) oder multiple, inguinale Lentigines in der Achsel und/oder in der Leistengegend
- Optikusgliom
- mindestens 2 Lisch-Knötchen (Pigmentanreicherungen in der Iris des Auges)
- Knochenfehlbildungen (Pseudarthrose, Keilbeinflügeldysplasie, Verkrümmung der langen Röhrenknochen)
- Neurofibromatose Typ 1 in der Familie
Therapie allgemein
Da es sich bei der peripheren Neurofibromatose (NF Typ I) um eine genetisch bedingte Erkrankung handelt, ist eine Therapie, die auf Heilung der zugrunde liegenden Störung abzielt, zur Zeit nicht möglich.
Die einzige Behandlungsmöglichkeit besteht daher in der operativen Entfernung der kutanen Neurofibrome.
Tumoren des zentralen Nervensystems können derart lokalisiert sein, dass ein operatives Vorgehen ohne Veränderungen an gesundem Gewebe nicht möglich ist. Es besteht außerdem die Möglichkeit, dass Operation und Bestrahlung ein Wachstum der Tumore begünstigen können. Daher wird eine sehr genaue Risiko-Nutzen-Abwägung verlangt. Es werden üblicherweise nur solche Veränderungen entfernt, die das Risiko einer bösartigen Entwicklung besitzen. Auch eine schwere neurologische oder orthopädische Symptomatik, gravierende kosmetische Probleme sowie eine drohende Erblindung stellen Gründe für eine Operation dar.
Operative Therapie
Verlauf/Prognose
Aufgrund der genetischen Mechanismen der Erkrankung entwickeln sich alle Symptome der Erkrankung erst im Laufe der Zeit. In diesem Sinne besteht auch eine Progredienz. Mit der Vielfalt der genetischen Befunde geht eine Vielfalt der Symptome und Verläufe der Erkrankung einher.
Die Sterblichkeit der Patienten ist im Allgemeinen erhöht.
Verlauf/Prognose
Die Prognose wird entscheidend durch das Auftreten maligner Tumoren bestimmt
Prophylaxe
Wegen des autosomal-dominanten Erbganges wird eine kritische Überprüfung des Kinderwunsches angeraten. Es scheinen Fertilitätsstörungen vorzukommen.
Patienten mit nachgewiesener Mutation im NF1-Gen wird eine früh einsetzende Vorsorge empfohlen.
Zur Vorbeugung von Komplikationen sollten regelmäßige Kontrolluntersuchungen sowie ggf. präventive bildgebende Untersuchungen durchgeführt werden.
Literatur
- Ferner RE et al. (2013) Neurofibromatosis type 1 (NF1): diagnosis and management. Handb Clin Neurol 115:939-55.
- Karaconji T et al. (2019) Neurofibromatosis Type 1: Review and Update on Emerging Therapies. Asia Pac J Ophthalmol (Phila) 8 :62-72.
- Ko JM et al. (2013) Mutation spectrum of NF1 and clinical characteristics in 78 Korean patients with neurofibromatosis type 1. Pediatr Neurol 48:447-453.
- Meissner M et al. (2011) Schnelle und effektive Behandlung von kleineren Neurofibromen. JDDG 9: 167-169
- Miraglia E et al. (2022) Juvenile xanthogranuloma in neurofibromatosis type 1. Prevalence and possible correlation with lymphoproliferative diseases: experience of a single center and review of the literature. Clin Ter 173:353-355.