Herpes neonatorumB00.2; B00.7

Autoren:Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 23.08.2024

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Synonym(e)

Akute Primärinfektion des Neugeborenen mit Herpes-simplex-Viren; Herpes simplex neonatorum; Neonatale Herpes Infektion; Neonatale Herpes-simplex-Infektion; Neonatal herpes infections

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Definition

Der Herpes neonatorum ist eine seltene aber bedeutsame Infektion, die mit schwerer Morbidität und Mortalität assoziiert sein kann, insbesondere bei Dissemination oder bei Beteiligung des zentralen Nervensystems. Die neonatale Infektion mit dem Herpes-simplex-Virus (HSV Typ 2 verursacht in etwa 75% HSV Typ 1 in 25% der Fälle diese Infektion), findet in 5% der Fälle in utero, in 85% peripartal in 10% postnatal (10 %) statt. Die Infektion kommt entweder aszendierend nach Blasensprung oder häufiger durch direkten Kontakt während der Geburt zustande. In einigen Fällen erfolgt die Infektion durch Ausbreitung von einem Kind zum anderen, durch das Krankenhauspersonal oder die Familie.

Eine diaplanzentare Infektion ist möglich. Sie kann vor der 20 Schwangerschaftswoche in bis zu 25% der Fälle zum Abort führen. Sie ist nach der 20. Schwangerschaftswoche selten. Eine mütterliche genitale Primärinfektion im 3. Trimenon der Schwangerschaft kann zur systemischen Disseminierung mit einer hohen Letalitätsquote führen (s.u. Herpessepsis der Neugeborenen P35.2)

Vorkommen/Epidemiologie

Die Inzidenz wird auf 1/3000–1/20.000 Lebendgeburten geschätzt. In einer größeren Niederländischen Studie betrug sie 4,7/100.000 Lebendgeburten (Hemelaar SJ et al. 2015). Die Infektion ist durch eine lebenslange Infektion mit Latenz- und Reaktivierungsperioden gekennzeichnet.

Klinisches Bild

Etwa 30% der infizierten Neugeborenen zeigen initial die bekannten herpetiform gruppierten genabelten Bläschen. 30% der infizierten Neugeborenen bleibt hauterscheinungsfrei. 30% entwickelt Symptome erst zwischen der 1. und 3. Lebenswoche; in seltenen Fällen aber erst in der 4. Woche (Lautenschläger S 2018).

Neugeborene mit Hauterscheinungen können lokale Infektionen oder einen disseminierten Verlauf aufweisen.

Neugeborene mit lokaler Infektion: 50% der Fälle entwickelt als „Minusvariante“ lediglich Symptome an der Haut, den Augen und dem Mund und zeigt darüber hinaus keine Hinweise auf eine ZNS-Infektion oder eine sonstige Organbeteiligung.

Ein Teil der Säuglinge (etwa 20%) erkrankt jedoch an einer Enzephalitis mit den entsprechenden neurologischen Symptomen und einer Pleozytose und Eiweißerhöhung im Liquor, mit oder ohne gleichzeitige Beteiligung der Haut) Augen und des Mundes.

Disseminierte Krankheit: Neugeborene mit einer disseminierten Krankheit und Befall der Viszeralorgane entwickeln eine Hepatitis, Pneumonitis, eine disseminierte intravasale Gerinnung oder eine Kombination mit oder ohne Enzephalitis oder Hauterscheinungen. Zu den weiteren Symptomen zählen Temperaturerhöhung, Lethargie, Hypotonie, Ateminsuffizienz, Apnoe und Krampfanfälle.

Als "blueberry muffin" (TORCH) werden Hautveränderungen bezeichnet, die oft durch blaubeerenartig durch die Haut schimmernde Effloreszenzen gekennzeichnet sind. Es handelt sich um eine transitorische, ausschließlich in der Neonatalperiode auftretende kutane extramedulläre Hämatopoese als Folge einer schweren Grundkrankheit, die zur vorübergehenden Reaktivierung embryonaler oder fetaler Blutbildungsmechanismen nach der Geburt führt.

TORCH steht als Akronym für die Erreger: Toxoplasma gondii, Other (Treponema pallidum, Hepatitis B, Zoster), Rubellavirus, (Cytomegalie-Virus, Herpes simplex-Virus.

Diagnose

HSV-Kultur oder PCR

Kultur oder HSV-PCR: Die rasche und belastbare sichere Diagnose durch Kultur oder HSV-PCR ist von großer Bedeutung. Das Material kann aus den Bläschen gewonnen werden. Auch Nasopharynx, Augen, Rektum, Blut und Liquor sollten auf herpetische Läsionen untersucht werden. Bei Neugeborenen mit einer Enzephalitis kann das Virus u.a. nur im ZNS gefunden werden.

Tzanck-Test: Wenn keine geeigneten virologischen Labors zur Verfügung stehen, kann ein Tzanck-Test vom Grund der Läsion charakteristische vielkernige Riesenzellen und intranukleäre Einschlüsse zeigen. Dieser Test ist allerdings weniger sensitiv und kann falsch-positive Resultate erbringen.

Der Direktnachweis ist auch elektronenmikroskopisch möglich.

Interne Therapie

Aciclovir sollte sofort und vorsorglich bei Verdachtsfällen gegeben werden, während auf die bestätigenden und diagnostischen Tests gewartet wird.

Systemische Beteiligung: Medikament der Wahl ist Aciclovir 3x/Tag 10-20mg/kgKG i.v. über 14-21 Tage.

ZNS-Beteiligung: Kleinkindern mit disseminierter und/oder Erkrankungen des zentralen Nervensystems erhalten Aciclovir 3x/Tag 20 mg/kg KG i.v. über 21 Tage. Mit dieser Therapie überleben etwa 90% der Neugeborenen. Die Gefahr einer Defektheilung (neurologische Ausfälle, geistige Retardierung, epileptische Anfälle, Amaurosis) ist nicht selten.   

Anschlussbehandlung: Nach der Akutphase empfiehlt sich bei Kindern mit ZNS-Erkrankung die fortführende orale Therapie mit Aciclovir: 2-3x/Tag 300 mg/m über 6 Monate. Diese langfristige Therapie verbessert die neurologischen Ergebnisse in einem Alter von 1Jahr (cave: Neutropenie). Eine sorgfältige, unterstützende Behandlung muss gewährleistet sein, einschl. einer adäquaten Flüssigkeitssubstitution, Ernährung, Atemunterstützung, Korrektur der Gerinnungsstörungen und Behandlung der Krampfanfälle.

Für die lokalisierte Erkrankung (Haut, Mund oder Bindehaut) ist die Behandlung mit Aciclovir 3x/Tag 20 mg/kg i.v. für 14 Tage.

Beim Auftreten einer herpetischen Keratokonjunktivitis ist eine begleitende topische Behandlung mit Substanzen wie z. B. Trifluridin, Iododeoxyuridin oder Vidarabin erforderlich.

Verlauf/Prognose

Die Letalität der unbehandelten disseminierten Krankheit beträgt 85%. In den Industrieländern reduzierte sich seit dem Einsatz von Aciclovir die Mortalität der Säuglinge mit disseminierter Infektion von 85% auf 29%. Bei Patienten mit einem Befall des ZNS reduzierte sich die Mortalität von 50% auf 4% (Boyd RL et al. 2019).

Prophylaxe

Grundsätzlich sollen Schwangere mit Genitalläsionen serologisch untersucht werden. Bei verdächtigen Läsionen sind virologische Direktuntersuchungen empfehlenswert (s.o.).

Liegen aktive HSV-Läsionen im Genitalbereich am Tag der Entbindung vor so wird eine Sectio caesarea vor oder 4-9h nach Blasensprung empfohlen. Nachweislich wird durch diese Maßnahme eine Übertragung minimiert.

Eine Monitorüberwachung der fetalen Kopfhaut von Säuglingen während der Wehen sollte unterlassen werden, wenn bei ihren Müttern aktiver Herpes genitalis vermutet wird. Asymptomatische Neugeborene von Frauen mit aktiven Läsionen im Genitalbereich zum Zeitpunkt der Entbindung sollten auf HSV-Infektion untersucht und getestet werden.

Orales Aciclovir oder Valaciclovir ab der 36. Schwangerschaftswoche bei gefährdeten Frauen (genitalem HSV kann Rezidive zum Zeitpunkt der Entbindung verhindern und die Notwendigkeit einer Sectio verringern.

Hinweis(e)

Säuglinge, die einem erhöhten Risiko einer HSV-Infektion ausgesetzt sind, sollten frühzeitig erkannt werden, damit die Mutter-Kind-Übertragung verhindert werden kann. Ein lohnendes Ziel für die Zukunft ist die Entwicklung neuer antiviraler Wirkstoffe mit höherer Wirksamkeit (Bhatta AK et al. (2018).

Literatur

  1. Bhatta AK et al. (2018) Vertikale Übertragung des Herpes-simplex-Virus: eine Aktualisierung. J Dtsch Dermatol Ges 16:685-693.
  2. Boyd RL et al. (2019) Herpes Simplex Neonatorum. StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing.
  3. Hemelaar SJ et al. (2015) Neonatal herpes infections in The Netherlands in the period 2006-2011. J Matern Fetal Neonatal Med 28: 905-909.
  4. Kimberlin DW et al. (2013) Commitee on infectious diseases, Committee on fetus and newborn: Guidance on management of asymptomatic neonates born to women with active genital herpes lesions. Pediatrics 131: e635-646, 2013.
  5. Lautenschläger S (2018) Humane Herpesviren. In: Braun-Falco`s Dermatologie, Venerologie Allergologie G. Plewig et al. (Hrsg) Springer Verlag S 107-109

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