KuhmilchallergieT78.1
Synonym(e)
Definition
V.a. bei Säuglingen und Kleinkindern auftretende (Häufigkeit: bei etwa 0,5-1,0 % (AA Schoenmaker 2015) der Säuglinge und Kleinkinder) allergische Reaktionen auf Milchproteine Kasein (hitzeresistent), β-Lactoglobulin (hitzeresistent), alpha-Lactoglobulin (hitzelabil), bovines Serumalbumin und bovines Immunglobulin.
Einteilung
Wichtige Alllergene der Kuhmilch (modifiziert nach I Rese 2015)
Bos d 2 Lipokalin
Bos d 3 S100 Kalzium-binding Protein
Bos d 4 Alphalaktalbumin
Bos d 5 Betalaktoglobulin
Bos d 6 Serumalbumin
Bos d 7 Immunoglobulin
Bos d 8 Kasein – gesamt (Aufteilung bei Bos d 9 –Bos d 12) - Hitzestabilität
Bos d 9 alphaS1-Kasein
Bos d 10 alphaS2-Kasein
Bos d 11 beta-Kasein
Bos d 12 kappa -Kasein
Vorkommen/Epidemiologie
Die Rate an nachgewiesener Kuhmilchallergie lag in größeren Studien bei 0,4%. Es gibt jedoch länderspezifische Unterschiede (Niederlande und Großbritannien: 1%). Rund 70% der Kuhmilchallergiker waren nach 1 Jahr erscheinungsfrei! Nur selten persistieren Milchallergien im fortgeschrittenen Alter (anaphylaktische Reaktionen, Anstrengungsurtikaria; hypotone Kreislaufrektionen)
Ätiopathogenese
Kuhmilch besteht zu 80% aus der Kaseinfraktion und zu 20% aus Molkenproteinen.
Kuhmilchallergiker sind meist gegen mehrere Milchallergene gleichzeitig sensibilisiert. Im Vordergrund stehen Kaseine (Bos d8), beta-Laktoglobulin (Bos d5), gefolgt von alpha-Laktoglobulin (Bos d4) und Rinderserumalbumin (Bos d9). Die Kaseinfraktion setzt aus verschiedenen Kaseinprodukten (Bos d9 - Bos d12) zusammen, die in unterschiedlichen Graden allergenisch wirken. Sie ist hitzestabil.
Es besteht eine hohe sequenzielle Homologie zwischen Molekenproteinen und Kaseinen zwischen Säugetiere und folglicher Kreuzreaktion ziwschen Kuh-, Ziegen- und Schafsmilch (Tomitz D et al. 2017).
Alpha-Laktalbumin ist artspezifisch. Lediglich zu Ziegenlaktalbumin besteht eine gewisse Kreuzreaktivität. Das Molekulargewicht des aus einer einzigen Kette bestehenden Moleküls liegt bei 14,2 kD. Die Aminosäuresequenz ist bekannt. Trotz einer 74% Übereinstimmung mit dem analogen Molekül der menschlichen Milch gehört es zuden Major-Allergenen. Das Molekül enthält bis zu 7 IgE-bindende Epitope - z.Z. linear. z.T konformationsabhängig. Wahrscheinlich spricht die Thermolabilität des Molküls dafür, dass die Konformationsepitope die dominierende Rolle spielen.
Beta-Laktalbumin besteht aus identischen Peptidketten. Die Aminosäuresequenz ist bekannt. Ein analoges Molekül findet sich in der menschlichen Milch. Es hat die Fähigkeit zur Retinolbindung. Das Molekulargewicht liegt bei 18,6kD. Bemerkenswwert ist, dass zu dieser Gruppe auch bekannte Inhalationsallergene gehören wie die von: Maus, Ratte, Pferd (Equ c1) und Schabe (Bla g4) (Jäger L 2001). Unter den 5 genetischen Varianten des Beta-Laktalbumins (A,B,C,D,Dr) spielt A bei der Milchallergie die dominierende Rolle. Auf dem Molekül können bis zu 11 IgE-bindende Epitope nachgewiesen werden.
Therapie
Weitestmögliche Karenz durch Verwendung von Kuhmilchersatzprodukten. Diese sollten vor Gebrauch ausgetestet werden, da gleichzeitig eine Allergie gegen die Ersatzprodukte bestehen kann (20-30% der Säuglinge haben gleichzeitig eine Sojamilchunverträglichkeit!). Bei Säuglingen sind nur die hypoallergenen Nahrungsmittel zu verwenden, die in ihrer Zusammensetzung den Empfehlungen zur Säuglingsernährung entsprechen (s. Tab. 1). Säuglinge mit Kuhmilchallergie sollten mindestens 4-6 Monate gestillt werden. Um keine Allergene über die Muttermilch zu übertragen, sollte die Mutter sich in dieser Zeit einer kuhmilchfreien Diät unterziehen (s. Tab. 2). Über 80% der Kuhmilchallergiker vertragen Kuhmilch wieder nach dem 3. Lebensjahr.
Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass Schaf-und Ziegenmilch wegen der großen Ähnlichkeit ihrer Allergene selten ein geeigneter Ersatz sind.
Berichte über Verträglichkeit von Ziegenmilch bei bestehender Kuhmilchallergie werden auf eine unterschiedlich zusammengesetzte Kaseinfaktion in der Ziegenmilch (Cap h 5) und eine fehlende Kreuzreaktivität des beta-Kaseins (bos d 11) zurückgeführt. Dies obwohl eine Sequenzhomologie von > 91% zwischen beiden Kaseinfraktionen besteht. Kreuzreaktionen gegenüber Rindfleisch ist bei Kuhmilcallergiker selten. Umgekehrt hat ein Großteil der Kinder mit Rindfleischallergie gleichzeitig auch eine relevante Kuhmilchallergie. Dies wird auf eine relevante Allergie gegen Rinderserumalbumin (Bos d 6) zurückgeführt. Alternativen bei Kuhmilchallergie: Reisdrink, Haferdrink oder Mandeldrink. Wichtig ist der ausgewogene Kalziumhaushalt!
- Sojamilch: Keine Kreuzreaktivität gegenüber Kuhmilchprodukten.
- Stuten- oder falls verfügbar Kamelmilch sind ein geeigneter Milchersatz.
- Kaseinhydrolysat: Enthält keine längerkettigen Peptidanteile und zeichnet sich durch Hypoallergenität aus. Nachteil: schlechter Geschmack.
- Laktoglobulinhydrolysat: Enthält vorwiegend Dipeptide und wird von allen Kuhmilchallergikern gut toleriert. Nachteil: Schlechter Geschmack.
- Milchersatz auf Fleischbasis (meatbased formula): Kreuzreaktivität mit Proteinen aus der Kuhmilch ist nicht ausgeschlossen.
- Sog. hypoallergene Nahrungen (NA) werden bei einer manifesten Kuhmilchallergie meist nicht toleriert.
Tabellen
Milchersatznahrungen für Säuglinge
Eiweißquelle |
Name |
Hersteller |
Eignung |
Sojaprotein |
Milupa SOM |
Milupa |
geeignet |
|
Lactopriv |
Töpfer |
geeignet |
|
Multival plus |
Deutsche Abbott |
geeignet |
|
Humana SL |
Humana |
geeignet |
|
granoVita Soja-Drink |
De-Vau-Ge |
nicht geeignet (zu viel Eiweiß, zu wenig Fett und Kohlehydrate, zu energiearm) |
Soja/Fleisch-hydrolysat |
Pregnomin |
Milupa |
geeignet, frei von allen Milchbestandteilen |
Kaseinhydrolysat |
Nutramigen |
Mead Johnson |
geeignet |
|
Pregestimil |
Mead Johnson |
geeignet |
Albuminhydrolysat |
Alfare |
Nestle |
geeignet (Lactose in geringen Mengen) |
Mandeln |
granoVita Mandelmus |
De-Veau-Ge |
nicht geeignet (zu wenig Valin, Tyrosin, Calcium) |
Ziegenmilch |
- |
- |
nicht geeignet (enthält Lactose; zu wenig Folsäure; bei langfristigem Gebrauch Gefahr der "Ziegenmilchanämie"; schwierig zu bekommen) |
Milch, Milchprodukte |
Milch in jeder Form, Säuglings-Milchnahrungen, Sahne, Joghurt, Quark, Käse |
Backwaren |
Brot und Gebäck, das mit Milch, Buttermilch, Magermilch, Kasein, Molkenpulver, Milchzucker, Sahne, Butter, Margarine hergestellt wurde. |
Fleischwaren |
Fleischkonserven, viele Wurstwaren, tiefgefrorene Gerichte, Fleischsalate |
Fisch |
Fischkonserven! |
Obst und Gemüse |
Konserven, Tiefkühlkost! |
Fette |
Butter, Margarine |
Süßwaren |
Milchschokolade, Sahnebonbons, Schokoriegel, Milcheis, Sahneeis |
Nährmittel |
Instant-Erzeugnisse! |
außerdem |
Fertiggerichte |
Zutatenliste beachten! Folgende Bezeichnungen bedeuten Milch, Milcheiweiß oder Lactose: Milch, Magermilchpulver, Milcheiweiß, Molke, Kasein, Milchzucker, Sahne, Butter, Margarine, Joghurt, Quark, Käse |
Diät/Lebensgewohnheiten
- Buchart K (2003) Nahrungsmittelallergie. Ein Leitfaden für Betroffene. Studien Verlag, ISBN 3-7065-1905-4, KNO-NR: 12 22 04 91
- Deilmann J, Zeltner J, Hummen B (1995) Allergenarmes Kochen für Säuglinge, Kleinkinder und Erwachsene (erhältlich in Apotheken)
- Thiel C, Ilies A (1994) Kochen und Backen bei Nahrungsmittelallergien. Falken-Verlag, ISBN 3-8068-4745-2
- Lathia D, Lichte V (1989) Ohne Milch gesund ernährt. Hilfen für Milchallergiker. Zenon Verlag
Hinweis(e)
Untersuchungen an kleineren Kollektiven konnten den Erfolg einer mehrjährigen oralen Hyposensibilisierungetherapie (Protokoll mit langsam ansteigender Menge verdünnter Kuhmilch) belegen.
Kuhmich wird in verbackener Form von den meisten Kuhmilchallergikern vertragen! Über Kuhmilch-haltige Backwaren (z.B. Muffins) läßt sich beispielweise bei kuhmilchallergischen Kindern durch Steigerung des Milchanteils eine Hyposensibilisierung erreichen (Kim JS 2011).
Literatur
- Businco L et al. (1993) Hydrolysed cow's milk formulae. Allergenicity and use in treatment and prevention. An ESPACI position paper. Pedriatr Allergy Immunol 4: 101-111
- Fiocchi A et al. (2003) Clinical tolerance to lactose in children with cow's milk allergy. Pediatrics 112: 359-362
- Hazebrouck S et al. (2014) Goat's milk allergy without cow's milk allergy: suppression of non-cross-reactive epitopes on caprine β-casein. Clin Exp Allergy 44:602-610
- Jäger L et al. (2001) Nahrungsmittelallergene. In Jäger L et al (Hrsg) Nahrungsmittelallergien und – intoleranzen. Urban&Fischer Verlag S. 153-154
- Jarvinen KM et al. (2001) IgE and IgG binding epitopes on alpha-lactalbumin and beta-lactoglobulin in cow's milk allergy. Int Arch Allergy Immunol 126: 111-118
-
Kim JS et al. (2011) Dietary baked milk accelerates the resolution of cow's milk allergy in children.
J Allergy Clin Immunol 128:125-131. -
Lehrnbecher T et al. (1994) Kuhmilchprotein-induzierte Kolitis bei voll gestillten jungen Säuglingen? Monatschr Kinderheilkd 142: 446-448
- Magazzu G et al. (2002) Gastrointestinal manifestations of cow's milk allergy. Ann Allergy Asthma Immunol 89: 65-68
- Patriarca G et al. (2002) Oral desensitisation in cow milk allergy: immunological findings. Int J Immunopathol Pharmacol 15: 53-58
- Reese I et al. (2015) Allergie gegen Kuhmilch und Hühnerei: was bietet die molekulare Allergiediagnostik? Allergo J Int 24: 34-41
- Recke A et al. (2017) Vier Gesichter einer Milchallergie. Allergo J Int 26: 56
- Schoemaker AA et al.(2015) Incidence and natural history of challenge-proven cow's milk allergy in European children--EuroPrevall birth cohort. Allergy70:963-972.
- Tomitz D et al. (2017) Isolierte Ziegen- und Schafsmilchallergie. Allergo J Int 26: 56-57
- Worm M et al. (2016) Leitlinie zum Mangement IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien. Allergologie 39: 302-344
- Zimmermann T (1994) Das nahrungssensitive atopische Ekzem. Sozialpädiatrie 16: 300-303